Italdesign Aztec (1988): So fährt das Space-Shuttle von Giugiaro
- Italdesign Aztec im Fahrbericht: Straßenzulassung trotz Ufo-Flair
- Nach vorn sieht man wenig und nach hinten gar nichts vom Verkehrsgeschehen
- Bis der Turbolader loslegt, steckt der Aztec in einem Schwarzen Drehmomentloch
- Wenig Sound, dafür aber ein Aufbock-System an Bord
- Technische Daten des Italdesign Aztec
Wo ist hier die Tür? Befindet sich das Steuer rechts oder links? Kann das Ding auch fliegen? Wer den Italdesign Aztec zum ersten Mal aus der Nähe sieht, ist hochgradig irritiert. Wie ein verirrtes Ufo steht die silbrig schimmernde Designstudie auf einer schmalen Landstraße im Piemont zwischen Wiesen und Weinbergen. Hier sieht es eigentlich aus, als sei die Zeit irgendwann im 20. Jahrhundert zum Stillstand gekommen. Der Aztec wirkt fast 40 Jahre nach seiner Entstehung immer noch wie ein Besucher aus fernen Galaxien.
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Kleine, grüne Männchen sind aber weit und breit nicht zu sehen, und tatsächlich steht seine Wiege in der Nachbarschaft: Er ist ein Produkt der Firma Italdesign aus Grugliasco, einem Vorort von Turin. Sein Urheber wurde inzwischen zum "Autodesigner des 20. Jahrhunderts" gewählt, weil er neben dieser Fingerübung Hunderten von weltbewegenden Serienwagen und Konzeptstudien ein Gesicht gab: Giorgetto Giugiaro. Sein Entwurf für einen Spaß-Sportwagen des 21. Jahrhunderts hat die Eigenschaften eines guten Science-Fiction-Romans: visionär, fantastisch, surreal und doch vorstellbar.
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Italdesign Aztec im Fahrbericht: Straßenzulassung trotz Ufo-Flair
Tatsächlich kann dieses "Ding aus einer anderen Welt" fahren wie ein normales Auto. Es hat sogar eine Straßenzulassung, und es gibt noch mehr von dieser Sorte: Für Fans in Europa und Japan legte Italdesign eine Kleinserie von etwa 20 Exemplaren auf. Sollte also jemals ein Italdesign Aztec Ihren Weg kreuzen, laufen Sie nicht gleich zum Augenarzt und auch nicht zur Psychiatrie. Sie brauchen auch nicht bei Erich von Däniken nachzuschlagen. Aber überlegen Sie trotzdem gut, wem Sie von diesem Erlebnis berichten, denn man könnte Sie für einen Spinner halten.

Etwas weit hergeholt ist das Konzept des Italdesign Aztec in der Tat. Anstelle eines Dachteils hat er zwei nach Art der Flügeltürer nach innen aufklappende Cockpitkragen mit umlaufenden Plexiglasscheiben im Stil alter Formel-Rennwagen (Diese Tür-Konzepte gibt es). Sie teilen den Innenraum optisch in zwei Hälften. Zwischen dem Mitteltunnel und den unteren Kragenrändern bleibt eine schmale Durchreiche, um sich nach gekonnten Manövern anerkennend die Hand zu geben. Andere Verständigungswege sind für die Besatzung ohnehin rar, denn Wortwechsel sind über die Scheibenränder hinweg während der Fahrt so gut wie unmöglich.
Nach vorn sieht man wenig und nach hinten gar nichts vom Verkehrsgeschehen
Tatsächlich waren aus diesem Grund ursprünglich Helikopter-Helme mit Gegensprechanlage vorgesehen. Sitze und Verkleidungen im Innenraum sind mit einem grauen Leder (So gelingt die Lederpflege) ausgeschlagen, das nur aus dem Weltraum oder vom italienischen Stilmöbel-Kreateur Poltrona Frau stammen kann. Die Instrumente und Bedienelemente im Cockpit geben weniger Rätsel auf als erwartet, wenn wir einmal davon absehen, dass der (rechts befindliche) Beifahrerplatz eine detailgetreue Attrappe des Fahrerplatzes vor sich hat – inklusive Nardi-Lenkrad. Es ist rund wie die mit Analogskalen bestückten Uhren, und im Fußraum vor dem Fahrerplatz befinden sich die üblichen drei Pedale. Selbst das Sortieren der Gänge geschieht nach Altväter Sitte, indem man einen Schalthebel durch eine H-Kulisse bugsiert (Das sind die No-Gos beim Schaltgetriebe).

Die Hi-Fi-Anlage von JVC ist fest in den 80er-Jahren verhaftet, als die Bedienteile der Autoradios ohnehin aussahen, als würden sie von einem unsichtbaren Assistenten-Gnom mit winzigen Händen und messerscharfen Augen bedient. Damals waren Equalizer und CD-Player der letzte Schrei. Apple CarPlay? Satelliten-Navigation? Digital-Radio? Nonsens! Was das Fahren kompliziert macht, ist der Umstand, dass die Person am Steuer nach vorn wenig und nach hinten so gut wie gar nichts vom Verkehrsgeschehen sehen kann. Die Wölbungen der Windschutzscheiben verzerren den Blick, der rechte Fahrbahnrand ist kaum zu erahnen, und in den Außenspiegeln des Italdesign Aztec tauchen formatfüllend die Ecken des riesigen Heckflügels (Diese Spoiler-Typen gibt es) auf.
Bis der Turbolader loslegt, steckt der Aztec in einem Schwarzen Drehmomentloch
Ob der Italdesign Aztec verfolgt wurde, zeigt sich erst, wenn jemand von hinten zum Überholen ausschert. Das kann heute wie damals allerdings nur selten passieren – nicht, weil der Aztec über so viel Power verfügt, sondern weil er so breit ist: An dem fast zwei Meter breiten Auto kommt auf den schmalen Landstraßen südlich der Alpen so leicht keiner vorbei. Das eigenwillige Format – 1,97 m breit, aber nur 4,27 m lang – resultierte aus dem Space-Age-Design und ermöglichte nebenbei eine höchst ungewöhnliche Anordnung des Antriebsstrangs: Giugiaro nahm den Allradantrieb (So funktioniert der Allradantrieb) des Lancia Delta HF 4WD, drehte das Ensemble um 180° und ersetzte den Vierzylinder-Turbo durch den aufgeladenen Fünfzylindermotor des Audi Quattro 20V (Der legendäre Quattro-Motor im Detail).
Mit Vierventilkopf, 220 PS (162 kW) und über 300 Nm Drehmoment (Unterschied zwischen Leistung und Drehmoment erklärt) drang der Audi damals in die Galaxie der ernsthaften Sportwagen vor. Im Aztec sitzt das Aggregat quer zwischen den Rücksitzen und der Hinterachse. Damit ist er womöglich der weltweit einzige Sportwagen, der von einem quer eingebauten Fünfzylinder-Mittelmotor angetrieben wird. Ehe der Turbolader nach dem Anfahren etwas Ähnliches wie galaktische Schubkraft entwickeln kann, muss zuerst eine Art Schwarzes Drehmomentloch durchquert werden, und da macht sich das hohe Leergewicht des Aztec bemerkbar. Das Auto wirbelt selbst mit dieser Leistung nur wenig Sternenstaub auf. Dafür ist es zu schwer. Feuchte Hände beschert uns die etwas unharmonische Leistungsentfaltung heute nicht mehr.
Die Konkurrenten:
Wenig Sound, dafür aber ein Aufbock-System an Bord
Spaceship statt Spaceframe auch bei der Karosserie: Das dramatische Styling findet kein substanzielles technologisches Äquivalent. Zwar erinnert der Vierrohr-Auspuff frappierend an das feuerspeiende Ende eines Raketentriebwerks, aber akustisch lässt sich nicht mehr als ein sonores Brummen aus ihm herausholen. Auf den Flanken vor den abgedeckten Hinterrädern sitzen Tastenfelder, über die verschiedene Kontrollpunkte aufgerufen werden können. Außerdem befindet sich hier eine Zwölf-Volt-Steckdose, und man kann den Aztec über vier hydraulisch betätigte Stempel aufbocken – falls in fremden Sphären ein Plattfuß passiert und dort zwar Niederquerschnittsreifen erhältlich sind, aber keine Wagenheber (Das sind die besten Rangierwagenheber).
Der Aztec wurde im Herbst 1988 auf dem Turiner Autosalon erstmals vorgestellt, flankiert von zwei weiteren Italdesign-Studien: Aspid und Asgard. Der Aspid war eine Coupé-Variante mit Glasdach, der Asgard ein Minivan, mit dem Giugiaro Mitsubishi vormachte, wie ein "Space Wagon" auszusehen hatte. Diese beiden blieben Einzelstücke. Der Aztec wurde als voll funktionsfähiger Prototyp aufgebaut. Italdesign betonte damit seine Rolle als Kooperationspartner großer Hersteller, denen die Kapazitäten fehlten, um den entscheidenden Schritt vom Designobjekt zum produktionsreifen Prototyp zu vollziehen. Tatsächlich sollten ausgerechnet von diesem Science-Fiction-Roadster in Eigenregie 50 Stück gebaut werden, aber Giugiaro überschätzte das Verkaufspotenzial. Nach maximal 20 Kopien war Schluss.
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Technische Daten des Italdesign Aztec
Classic Cars 07/2023 | Italdesign Aztec |
Zylinder/Ventile pro Zylin. | 5/4; Turbo |
Hubraum | 2226 cm³ |
Leistung | 162 kW/220 PS 5900/min |
Max. Gesamtdrehmoment bei | 309 Nm 1950/min |
Getriebe/Antrieb | 5-Gang-Getriebe/Allrad |
L/B/H | 4270/1970/1175 mm |
Leergewicht | 1500 kg |
Bauzeit | 1988 |
Stückzahl | ca. 20 |
Beschleunigung null auf 100 km/h | k.A. |
Höchstgeschwindigkeit | k.A. |
Verbrauch auf 100 km | k.A. |
Grundpreis (Jahr) | 500.000 Mark (1988) |