Seltene Kombis: Mercedes 240 D Estate und 230 S Universal
- Unterwegs in Mercedes 230 S Universal und Mercedes 240 D Estate
- 2000 Heckflossen-Umbauten bei der Firma IMA
- Der Strich-8-Kombi entstand in Portugal
- Blick ins Interieur: keine braven Handwerkervehikel
- Diesel- und Benzinmotoren für die Kombiumbauten
- Technische Daten von Mercedes 230 S Universal & Mercedes 240 D Estate
- Fazit
Die schwäbischen Oberen hatten lange Zeit Bedenken, ein profanes Kombimodell aufzulegen. Nach Ansicht ihrer Marktforschenden könnten derartige Autos den noblen Markenwert beschädigen. Darum fiel ein dem Vorstand präsentierter Strich-8 (Hier in der Kaufberatung) glatt durch, und auch die folgende S123-Studie musste rundum aufgewertet werden, bis endlich eine positive Entscheidung fiel: mit mehr Chrom, schickeren LM-Rädern und einer feinen Innenausstattung. Nein, als Lastenesel sollten diese Modelle nie wahrgenommen werden.
"Kombinations-Kraftwagen" galten damals als Nutzfahrzeuge und wurden eher bei Opel oder Ford sowie bei den französischen und italienischen Marken verortet. Dass diese Fahrzeuggattung einmal als "Lifestyle" gelten könnte, kam zumindest in Deutschland noch niemand in den Sinn. Auf anderen Märkten war man pragmatischer. Bereits ab Ende der 40er-Jahre fertigten freie Karossiers auf Basis der Mittelklasse-Baureihen die verschiedensten Aufbauten. Selbst Ober- und Luxusklässler wurden nachträglich mit Kombi- oder Pritschenheck versehen – von den zahlreichen Krankenwagen und Bestattungsfahrzeugen ganz abgesehen. Immerhin: Daimler-Benz duldete diese Umbauten und gestattete sogar die Nutzung des alles überstrahlenden Sterns.
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Die Mercedes-Benz E-Klasse T-Modell (2023) im Video:
Unterwegs in Mercedes 230 S Universal und Mercedes 240 D Estate
Mercedes-Spezialist Tobias Schneider in Südniedersachsen hat einige Kombi-Versionen von Mercedes gesammelt. Eine davon, ein in Belgien aufgebauter, dunkelroter Mercedes 230 S Universal von 1966, wurde 2022 während der PS Speicher-Rallye zum schönsten Fahrzeug gekürt. Wir glitten mit diesem Traummobil einen Tag lang über kleine Straßen im Eichsfeld und hatten ausgesprochen viel Spaß an Ausstattung, Motorisierung und Fahrwerk des Fünftürers. Ein Vertreter der nachfolgenden Strich-8-Baureihe, ein Mercedes 240 D Estate von 1976, ging als Sparringpartner mit auf die 100-km-Tour.
Dass ein Jahrzehnt zwischen den beiden Probanden liegt, merkt man sofort – bei der Heckflosse dominiert eine gewisse Herrschaftlichkeit, beim Strich-8 umfassende Funktionalität. Erstaunlich, wie geschickt Mercedes es verstand, das Design stets so evolutionär weiterzuentwickeln, dass auch ein Vorgängermodell nie wirklich alt wirkt. Der 230 S Universal basierte auf der Heckflosse (1959 bis 1968), die sowohl als einfacher Vierzylinder (W110) als auch – wie unser Fotoauto – als nahezu baugleicher Sechszylinder angeboten wurde. Besagte Sechszylinder liefen als eigene Baureihe (W111) und zählten zu den Ahnen der späteren S-Klasse.
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2000 Heckflossen-Umbauten bei der Firma IMA
Den Umbau zum Kombi erledigten Karossiers wie Binz und Miesen in Deutschland, vor allem aber auch der belgische Fachbetrieb IMA in Mechelen, von dem unser Testmobil stammt. Dort handelte es sich nicht um nachträgliche Umbauten, sondern um die Komplettierung angelieferter Bausätze aus Sindelfingen. Einzig das Dach wurde gänzlich in Belgien produziert. Insgesamt entstanden 1966/67 rund 2000 Heckflossen-Umbauten bei der Firma IMA, die sich als Lieferant von Kranken- und Bestattungsfahrzeugen längst einen Namen gemacht hatte. Rund 250 davon waren 230 S-Kombis, die über das europaweite Händlernetz zur Kundschaft gelangten. 1966 kam es zu den ersten Auslieferungen, einige Exemplare erreichten sogar die USA. Auch Rechtslenker-Ausführungen gab es.

Die Verwandlung der Heckflosse in einen Premium-Kombi war indes sehr teuer: Sie kostete zusätzlich etwa ein Drittel des Verkaufspreises der ohnehin nicht gerade billigen Limousine. Der Mercedes 230 S Universal war rund 18.800 Mark teuer, während der einfacher konfigurierte, 15 cm kürzere 230 Universal mit 15.900 Mark zu Buche schlug. Dafür erhielt man jedoch ein aufsehenerregendes Gefährt mit imposanten Ausmaßen.
Der Strich-8-Kombi entstand in Portugal
Bei der etwas kompakteren Strich-8-Baureihe W114/115 (1968 bis 1976) war es ähnlich: Zwar hatte Mercedes selbst bereits vielversprechende Vorserien-Kombis aufgebaut, die aber intern abgelehnt wurden. Kombi-Umbauten auf Basis von CKD-Teilkarosseriesätzen entstanden wiederum bei Binz (ca. 250 Exemplare), Miesen (schätzungsweise 60 Stück), aber auch im Ausland bei Crayford, IMA und bei Santos in Portugal. Von letzterem stammt der aquablaue Fotowagen.
Aufgebaut wurden besagte "Dos Santos Estates" beim Kooperationspartner Movanto im Bezirk Setubal/Palmela – der Standort wurde später bekannt durch die VW/Ford-Kooperation Autoeuropa. Insgesamt entstanden etwa 2500 Umbauten, allein auf den 220 D Kombi sollen über 150 Exemplare entfallen. Von einem "Reimport" nach Deutschland ist nichts bekannt. Zumindest bei den deutschen Karosserieschneidern lässt sich der Mehrpreis für den Strich-8 beziffern – er lag im Vergleich zum Basisfahrzeug um sehr stolze 60 Prozent höher.

In puncto Design handelte es sich beim W110/111 um ein stilistisches Meisterwerk. Unter Federführung von Peter Vermersch entstand der belgische Heckflossen-Kombi mit marginal verlängertem Heck. Bis zur B-Säule entsprach der Aufbau dem der Limousine. Seine gelungene Formgebung unterschied ihn von den parallel gefertigten Kranken- und Bestattungswagen, deren Dachabschluss relativ hoch endete. Das Auto verfügte über eine mit der Rahmenbodenanlage verschweißte, selbsttragende Karosserie, die als "gestaltfeste Sicherheitszelle" mit definierten Knautschzonen vermarktet wurde.
Der Wagen zählte, unabhängig von seiner Motorisierung, zur gehobenen Mittelklasse, wie sie heute als E-Klasse läuft – eine S-Klasse-Ausführung des Mercedes 240 D Estate gab es nicht mehr, weil mittlerweile dafür das eigenständige Modell W108 und dann der W116 bereitstanden. Mercedes-Benz vollzog mit dem Strich-8 den stilistischen Wandel zu mehr optischer Schlichtheit. Chrom und glänzende Metallteile waren weitgehend perdu. 4885 mm war die große Heckflosse lang, der Radstand betrug 2750 mm. Allerdings legte der Kombi im Zuge des Umbaus um 100 kg auf 1510 kg zu. Für beide Autos galt: Die Heckklappe öffnete – wie beim Strich-8 – nach oben und nicht etwa zur Seite wie bei vielen Nutzfahrzeugen üblich; die Scharniere sah man nicht.
Zwei geräumige Kombis mit Sinn fürs Praktische
Der ein Jahrzehnt später offerierte Mercedes 240 D Estate war allen Ernstes 20 cm kürzer, sein Radstand maß aber weiterhin 2750 mm. Das Leergewicht von 1485 kg entsprach in etwa dem der fünftürigen Heckflosse. Auch der Heckabschluss dieses Kombis wirkte erstaunlich gelungen, lediglich die sehr eckige Heckklappe gewann wahrlich keinen Schönheitspreis. Bei der hier gezeigten fünftürigen Heckflosse ist der Boden durchgängig holzvertäfelt. Mit wenigen Handgriffen lässt sich die hintere Bank umlegen – dann ergibt sich ein fast zwei Meter langer Laderaum von über 600 l. Stolze 660 kg dürfen zugeladen werden.
Gleichermaßen mit wenig Aufwand lässt sich auch beim Strich-8 dank der umklappbaren hinteren Bank eine ebene Ladefläche herstellen – 590 kg nimmt sein Kofferraum auf. Gegen Aufpreis ließ sich seinerzeit für beide eine dritte Sitzbank ordern, die – in umgekehrter Richtung installiert – den Blick nach hinten freigab. Auf diese Weise konnten bis zu sieben Personen legal untergebracht werden. Diese Lösung fand sich später in den T-Modellen von Mercedes wieder.
Eine komplette Luftfederung wie in der teureren 300 SE-Limousine wurde im Mercedes 230 S Universal nie angeboten, aber es gab eine abgespeckte Version in Form eines passiv reagierenden, hydropneumatischen hinteren Solo-Federbeins für die Niveauregulierung. Tobias Schneider baute sein Exemplar auf die aufwendigere Niveauregulierung um. Beim Strich-8 gab es die hydropneumatische Niveauregulierung bereits als Option.
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Blick ins Interieur: keine braven Handwerkervehikel
Auch bei den Innenräumen wird klar, dass hier keine braven Handwerkervehikel unterwegs sind. Wobei es der Mercedes 230 S Universal fast etwas übertreibt mit dem holzgetäfelten, gepolsterten Instrumententräger mit elastischen, teilweise versenkt angeordneten Bedienungselementen und Schaltern, Chromzierrat, weichen Sesseln (Einzelsitze oder durchgehende Bank) sowie Heizung/Lüftung für vorn und hinten. Dazu kommen ein Zweispeichenlenkrad mit gepolsterter Nabe und optional ein Radio.
Zum Lieferumfang gehörten damals auch Ausstellfenster, Haltegriffe, Innenbeleuchtung, aufrecht stehender, aber schwer ablesbarer Walzentacho mit regulierbarer Instrumentenbeleuchtung, Kleiderhaken hinten, Sonnenblenden mit Make-up-Spiegeln, Tageskilometerzähler, elektrische Zeituhr und Zigarrenanzünder. Nur in Einzelfällen wurden Stahlschiebedächer im Flossen-Kombi eingebaut.
Der sachlichere Mercedes 240 D Estate war indes bei den Sicherheitsfeatures schon weiter: mit beweglich gelagertem, von innen einstellbarem Außenspiegel und schmutzabweisenden Zierblenden an den A-Säulen, die die Seitenscheiben auch bei widrigen Witterungsverhältnissen sauber hielten. Das von den Baureihen 107 und 116 (SL und S) bekannte Vierspeichen-Sicherheitslenkrad bereicherte ab 1973 statt des spindeldürren Kranzes die Serienausstattung der Strich-8-Typen. Auch Kopfstützen und Automatik-Sicherheitsgurte vorn gehörten nun zum Lieferumfang.
Diesel- und Benzinmotoren für die Kombiumbauten
Angeboten wurden die Kombis beider hier gezeigten Baureihen seinerzeit mit den damals aktuellen Benzinern. Ursprünglich saß in dem von uns bewegten Oberklasse-Mercedes 230 S Universal ein von zwei Register-Fallstromvergasern beatmeter 2,3-l-Sechszylinder mit 120 PS (88 kW), den Tobias Schneider aber durch einen 2,8-l M130 mit 140 PS (103 kW) aus der S-Klasse W108 ersetzte. Er passt problemlos hinein, aber offiziell kam dieser Kraftblock nie in die Heckflosse. Das nun zur Verfügung stehende zusätzliche Drehmoment beeindruckt, der Wagen lässt sich schön drehzahlarm bewegen. Einen Diesel gab es für den Nobel-Fünftürer der Baureihe 111 nie, wohl aber für die kleinere W110-Heckflosse. Der sogenannte OM 621 mit maximal zwei Liter Hubraum wurde erstmals in der Ponton-Baureihe eingesetzt.
Der Strich-8 Kombi (W115) wurde zwar auch von Vierzylinder-Benzinern angetrieben, aber bevorzugt mit dem damals neuen 2,2-l-Selbstzünder OM 615 angeboten. Mit dem Facelift der Baureihe im Herbst 1973 gesellte sich der 2,4 l (OM 616) für den Mercedes 240 D Estate hinzu, der unser Testmobil erstaunlich gut beschleunigt. Aber er muss auf Touren gehalten werden, damit der Mercedes nicht zur Wanderdüne wird. Er bringt immerhin 65 PS (48 kW) und ein Drehmoment von 137 Nm. Mehr Spaß hätte man sicher mit dem 80 PS (59 kW) starken Fünfzylinder OM 617, der aber nie in Kombination mit der Kombi-Karosse verabreicht wurde. Er muss noch per Zugschalter mit einer gefühlt ewig langen Vorglühzeit gestartet werden.
Neben der manuellen Viergang-Schaltung wurde für die Heckflosse optional eine im eigenen Haus entwickelte, bereits vierstufige Automatik mit hydraulischer Kupplung und nachgeschaltetem Planetengetriebe angeboten. Auch der Strich-8 hatte serienmäßig ein Viergang-Schaltgetriebe, wahlweise und ohne Aufpreis mit klassischer Stockschaltung am Lenkrad oder Knüppelschaltung. Gegen saftigen Aufpreis gab es eine Automatik mit hydraulischer Kupplung respektive Hydraulikwandler und Vierstufen-Planetengetriebe.
Die Heckflosse kam noch mit vorderer Doppelquerlenker-Achse und hinterer, nicht ganz unkritischer Eingelenk-Pendelachse mit Ausgleichsfeder daher, wobei vordere und hintere Stoßdämpfer nunmehr weit außen saßen – das brachte eine effektivere Schwingungsdämpfung. Statt der 13-Zoll-Räder wie bei den Limousinen kamen große 15-Zoll-Pneus zum Einsatz. Zudem verfügte der Wagen über vordere Scheibenbremsen und eine Zweikreisbremsanlage.
Strich-8 mit überarbeitetem Fahrwerk
Der Strich-8 hatte bereits eine Schräglenker-Hinterachse ("Diagonal-Pendelachse"), eine verbesserte Doppelquerlenkerachse vorn und Scheiben rundum. Serienmäßig waren 14- oder 15-Zöller. Die Servolenkung gab es aber nur als Option. Begeisterte Pressevertreter:innen schrieben nach ersten ausführlichen Tests auf der Rundstrecke von "Fahreigenschaften ähnlich denen eines Sportwagens", in Kurven sei das Auto "selbst bei sehr scharfer Fahrweise neutral geblieben, mit einer über alle Zweifel erhabenen Richtungsstabilität".
Der Mercedes bekam rundum Scheibenbremsen, die jetzt deutlich vergrößert wurden. Damit generierte die hydraulische Zweikreisbremse bessere Verzögerungswerte und weniger Fading. Die bisherige Stockhandbremse à la Flosse wich einer Fuß-Feststellbremse mit Lösegriff neben der Lenksäule – offensichtlich ein Zugeständnis an den US-Markt. Der wahre Grund für diese Platzierung war, dass damit Raum auf der Mittelkonsole gewonnen wurde – heute wieder ein wichtiges Thema, das in der Gegenwart zu den an die Lenksäule gewanderten Wählhebeln geführt hat.
Beide Autos bescheren auch heute noch erstaunlich viel Fahrspaß. Wer einen der seltenen Kombis sein Eigen nennt, darf viel Zeitgeist genießen – und hat zumindest in der Heckflosse Platz für eine Liegefläche, auf der sogar der 1,90 m lange Autor Platz findet. Durchsetzen konnte sich der Kombi-Gedanke beim S123 (S für Station Wagon) ab 1978. Der in Bremen gebaute Fünftürer kopierte einige Designideen seiner Vorgänger – und sollte zu einem Bestseller avancieren. Tobias Schneider legte noch einen drauf: In seinem 123er-T-Modell arbeitet der bärenstarke M117-Motor des Mercedes 500 E, was äußerlich nur am Doppelauspuff erkennbar ist. Mehr Power-Kombi geht wirklich nicht.
Technische Daten von Mercedes 230 S Universal & Mercedes 240 D Estate
Classic Cars 04/2025 | Mercedes 230 S Universal | Mercedes 240 D Estate |
Zylinder/Ventile pro Zylin. | 6/2 | 4/2 |
Hubraum | 2281 cm³ | 2404 cm³ |
Leistung | 88 kW/120 PS | 48 kW/65 PS |
Max. Gesamtdrehmoment bei | 178 Nm 4000/min | 137 Nm 2400/min |
Getriebe/Antrieb | 4-Stufen-Automatik/Hinterrrad | 4-Gang-Getriebe/Hinterrad |
L/B/H | 4885/1795/1530 mm | 4685/1770/1460 mm |
Leergewicht | 1510 kg | 1485 kg |
Bauzeit | 1966-1967 | 1975-1976 |
Stückzahl | mind. 200 | über 150 |
Beschleunigung null auf 100 km/h | 13 s | 25,9 s |
Höchstgeschwindigkeit | 176 km/h | 138 km/h |
Verbrauch auf 100 km | 14 l S | 9,5 l S |
Grundpreis (Jahr) | 18.800 Mark (1966) | k.A. |
Dass gut gemachte Kombiwagen in vielen Fällen schicker als die entsprechenden Limousinen sind, ist eine Binsenweisheit. Mercedes tat sich lange schwer mit dem Thema, dachte man doch vor einem halben Jahrhundert noch gar nicht an das Verkaufsargument "Lifestyle". Aber man ließ Karossiers außer Haus freie Hand – und gestattete sogar die Nutzung des Sterns. So entstanden Sahnestückchen wie die hier gezeigten Kombis. Was ganz besonders für die Sechszylinder-Heckflosse gilt, die mich rundum überzeugt und – ja! – betört hat.