Haben Autobauer aufgegeben, Weltautos zu bauen?
Weltwagen adé: Warum die Autoindustrie wieder lokal denkt
Europäer:innen kaufen Mercedes-Modelle, die in den USA gebaut werden, und Ford-Modelle aus Thailand. Amerikaner:innen fahren Buick, die in China produziert werden, und Dodge, die in Italien gefertigt werden. Die meisten BMW-3er-Modelle, die in Australien verkauft werden, werden in Südafrika montiert. Die große britische Offroad-Ikone Land Rover Defender wird in der Slowakei produziert. Mit ihren verstreuten Fabriken und weit verzweigten Lieferketten galt die Automobilindustrie lange als Vorzeigebeispiel der Globalisierung.
Aber das Schlagwort, das derzeit in den Vorstandsetagen widerhallt, ist Lokalisierung. Wo einst Führungskräfte von riesigen globalen Unternehmen träumten, die Komponenten von überall bezogen und daraus Produkte machten, die überallhin geliefert wurden, sprechen sie nun darüber, Lieferketten zu verkürzen, die Anfälligkeit für geopolitische Spannungen zu verringern und die Kundenerwartungen in wichtigen Märkten besser zu erfüllen.
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Der Ford Capri (2024) im Video:
Von Globalisierung zu Lokalisierung
"Die Automobilindustrie wirkt zunehmend wie ein regionales Geschäft", sagte Ford-Chef Jim Farley nach der Entscheidung von US-Präsident Trump, drastische Zölle auf Fahrzeuge und Fahrzeugteile zu erheben, die aus China und Europa in die USA importiert werden. Ob aus geschäftlichen oder geschmacklichen Gründen – Lokalisierung ist keine neue Idee. Ford entwickelte in den 1930er-Jahren das Modell Y speziell für Europa, weil das Modell A für die Einheimischen zu teuer war. Toyota baut seit 2002 in Texas großformatige Pick-up-Trucks, die speziell für den nordamerikanischen Markt entworfen und konstruiert wurden.
Lokale Vorlieben, lokale Modelle
Die Größe des chinesischen Marktes hat einige westliche Hersteller dazu veranlasst, bestimmte Fahrzeuge speziell auf lokale Vorlieben zuzuschneiden. Audi hat einige neue Modelle ausschließlich für China im Angebot, und VW ändert seinen gesamten Ansatz zur Fahrzeugentwicklung für China. "Typischerweise entwickelten wir eine globale Plattform in Wolfsburg und lokalisierten sie in China, aber dieses Modell funktioniert nicht mehr“, sagt Arno Antlitz, Chief Operating Officer der VW-Gruppe. "Die Kundschaft verlangt andere Autos, andere Technologien und andere Funktionen. Auch aus Kostensicht funktionierte es nicht. Wir haben den Weg hin zu lokalen Fahrzeugen für die lokale Kundschaft eingeschlagen."
Bedeuten Regionalisierung und Lokalisierung das Ende dessen, was einst als der ultimative Ausdruck einer globalisierten Automobilindustrie galt – des Weltwagens? Das hängt davon ab, wie man einen Weltwagen definiert.
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Der Traum vom Weltwagen – vorbei?
Ford hat viel Zeit und Geld darauf verwendet, den Weltwagen zu verstehen. Projekt Erika war ein kompakter Wagen mit Frontantrieb, der Ende der 1970er-Jahre gemeinsam von Fords nordamerikanischen und europäischen Niederlassungen entwickelt wurde. Er wurde in Ford-Werken in den USA, Großbritannien, Deutschland, Portugal und Brasilien produziert, mit Komponenten aus 17 Ländern. Europa und Amerika kannten Erika als den Escort. 1981 war er das meistverkaufte Auto der Welt, mit jährlichen Verkaufszahlen von über 400.000 Fahrzeugen allein in den USA in der Mitte der 1980er-Jahre. Aber er war kein Weltwagen. Obwohl sich die europäische und die amerikanische Version des Escort äußerlich fast glichen, teilten sie nur eine Handvoll gemeinsamer Teile, und kein einziges Karosserieteil war austauschbar.
Alan Mulally, der 2006 als CEO die angeschlagene Ford Motor Company übernahm, machte aus der Idee des Weltwagens eine umfassende Unternehmensstrategie. Sein Programm "One Ford" zielte darauf ab, Design-, Entwicklungs- und Produktionsprozesse in Amerika, Europa und der Asien-Pazifik-Region zu konsolidieren, um effizienter standardisierte und globalisierte Pkw und Nutzfahrzeuge herzustellen.
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Mehrere Jahre lang erfüllte der Mondeo den Traum von "One Ford". "One Ford“ brachte Europa auch den Mustang und Amerika den Fiesta. Doch es lieferte Ford keine wiederholbare Blaupause zur Erschaffung eines Weltwagens – und in den letzten 20 Jahren ist die Vision zunehmend verblasst, Fords Produktpalette ist weit entfernt von globaler Einheitlichkeit.
Tatsächlich war das Unternehmen in früheren Zeiten viel erfolgreicher darin, ein Auto für die ganze Welt zu bauen. Das Auto, das Ford groß machte, das Modell T, war ein Weltwagen. Bereits 1911, kaum drei Jahre nachdem die ersten Model T auf amerikanischen Straßen erschienen waren, wurde es auch in Manchester gebaut. Allein 1925 exportierte Ford über 303.000 Model T in Länder auf der ganzen Welt. Der ursprüngliche VW Käfer war ein weiterer Weltwagen – 21,5 Mio Exemplare wurden über einen Zeitraum von 65 Jahren weltweit verkauft.
Was sowohl das Model T als auch den Käfer zu Weltwagen machte, war, dass sie robust, erschwinglich und nahezu überall einsetzbar waren. Die Mobilität, die sie boten, war das, was die Kundschaft sich wünschte – nicht die Autos selbst.
Wunsch nach Individualität statt Mobilität
Die heutigen automobilen Wünsche sind nuancierter, selbstbezogener und stärker auf das Produkt als auf das Ziel gerichtet. Die Menschen wollen nicht einfach nur irgendwohin gelangen – sie wollen, dass das Fahrzeug etwas über sie aussagt und ihr Leben dabei komfortabler und angenehmer macht.
Aber sie wollen dafür nicht übermäßig viel bezahlen. Der kürzlich wiedereingesetzte Volvo-Chef Håkan Samuelsson hat eine kluge Sichtweise auf den Anstieg lokal geprägter Geschmäcker in einer Zeit, in der die Produktionskosten gebändigt werden müssen. Das meistverkaufte Modell seines Unternehmens, der XC60, wird sowohl in China als auch in Schweden produziert. "Wir beobachten diesen Trend schon lange", sagt Samuelsson. "Wir müssen näher an der Kundschaft produzieren, um agiler zu sein und schnellere Lieferzeiten zu ermöglichen. Wir müssen der Kundschaft zuhören und uns an lokale Vorlieben anpassen."
Von Angus MacKenzie