Ford Focus RS Turnier: Mitfahrt im sensationellen Einzelstück
- Mitfahrt in einem OEM-Meisterwerk: So entstand der einzigartige Ford Focus RS Turnier MK3
- Der per Hand modellierte Heckspoiler müsste eigentlich in den Windkanal
- Straßenleistung 379 PS, per Knopfdruck bis zu 560 PS
- Das eskalierte Freizeitprojekt dauert sechs Jahre
- Boost-Party mit Serien-Flair und große Pläne für die Zukunft
- Fazit
Eigentlich lässt sich Sven Dräbert gewissermaßen als typischer Deutscher bezeichnen: Er ist technikbegeistert, detailversessen und liebt Autos, die zugleich praktisch und schnell sind. Ziemlich einzigartig aber wird der Familienvater durch die Wahl seines Kombis. Er fährt einen Ford Focus der dritten Generation als RS Turnier. Genau genommen fährt er sogar den Ford Focus RS Turnier, denn es gibt nur diesen einen. Auf der ganzen Welt. In jahrelanger Arbeit hat der 42-jährige IT-Projektmanager seinen Traum eines RS-Kombis von Ford verwirklicht, damit die AUTO ZEITUNG besucht und uns eine Runde mitfahren lassen. Eine unvergessliche Tour durch HU-Schikanen, Performance-Maps und den alltäglichen Wahnsinn, den man erlebt, wenn man ein hochexklusives Auto fährt, das überhaupt nicht danach aussieht.
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Dabei ist die AUTO ZEITUNG zugegebenermaßen nicht ganz unschuldig daran, dass Dräbert ab 2018 Unsummen an Zeit und Geld in sein Projekt steckt. Im Herbst 2017 veröffentlichen wir diese Illustration zum Ford Focus RS Turnier, die auch auf dem Bildschirm des Schwaben landet und seinen Traum weiter befeuert. Und als er seinen frisch gekauften Ford Focus ST Turnier wenig später in einer Leitplanke abstellen muss und dann auch noch zufällig auf ein komplett zerlegtes RS MK3-Presseauto stößt, nimmt das ungewöhnliche Projekt Fahrt auf.
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Die Mitfahrt im Ford Focus RS Turnier im Video:
Mitfahrt in einem OEM-Meisterwerk: So entstand der einzigartige Ford Focus RS Turnier MK3
Die an sich selbst und das Auto gestellten Anforderungen sind enorm: Sven Dräbert will keinen plump zusammengeschusterten Sportkombi-Frankenstein, sondern ein OEM-Meisterwerk. Der RS Turnier soll so aussehen und sich so anfühlen wie der Werkswagen, den Ford nie gebaut hat. Als Gründer des Ford Team Schwaben e.V. bestens vernetzt, bekommt er Hilfe vom Veredelungsbetrieb Scuderia Vitony in Filderstadt, den Motoren-Profis der Beast Factory in Drensteinfurt bei Münster sowie vom Ford Autohaus Gross bei Esslingen, das Dräbert beim letzten Feinschliff mit Rat und Tat zur Seite steht. Sie alle unterstützen die Vision eines RS Kombis an Wochenenden und Feierabenden mit genauso viel Leidenschaft wie sein Besitzer.
Doch die ersten Probleme sollen nicht lange auf sich warten lassen: Da der ab 2016 gefertigte RS bereits alle Merkmale des Facelifts besitzt, Dräberts ST-Basisfahrzeug aber aus der Vorfacelift-Ära stammt, müssen Steuergeräte programmiert und Kabelbäume neu verlegt sowie teilweise sogar eigens dafür hergestellt werden. Zu allem Übel passt das Kühlerpaket nicht hinter die Stoßstange.
Und dann stehen ja noch all die Modifikationen an, um dem Kombiheck den RS-Schliff zu verleihen. Aus drei mach eins: Für die Heckschürze mussten ganze drei Stoßfänger herhalten. Und als ob das nicht schon kompliziert genug wäre, sollte das Bauteil auch noch die Form der Kotflügelverbreiterung weiterführen – ein Jahr Arbeit. Das Bodykit besteht übrigens inklusive Innenradhäuser aus Blech, denn: "Ford hätte die ja auch nicht aus GfK gebaut", merkt der Focus-Fan an. Klar, dass auch diese OEM-Extrawurst mehrere Monate verschlingt.
Der per Hand modellierte Heckspoiler müsste eigentlich in den Windkanal
Den Vogel aber schießt der Heckspoiler ab, den lange Zeit kein Prüfingenieur abnehmen will. Der sieht zwar aus wie das RS-Originalteil, ist aber ein halbes Jahr lang per Hand modelliert worden, damit er auf dem verlängerten Dach auch wirklich eine seriöse Figur abgibt. "Eigentlich hätte ich damit in den Windkanal gemusst", erinnert sich Dräbert. Stattdessen kopiert er den 0-Grad-Winkel des RS-Spoilers und findet am Ende doch noch einen Fachmann, der sich die Arbeit macht und den Flügel legalrechnet. Ein Dreivierteljahr steht der Ford Focus RS Turnier außerdem beim Lackierer, weil wirklich alles, auch der Motorraum und die Bleche von innen, in Blau gestrichen werden müssen. Die Farbe fällt übrigens deutlich dunkler aus als die des RS MK3 und erinnert eher an die Nuance des allerersten RS von 2002.

Wer nun denkt, dass dem OEM-Leitgedanken mit der Montage des 2,3-l-Turbovierzylinders aus dem RS samt kompliziertem Torque-Vectoring-Allradantriebs wirklich Genüge getan wäre, ist vom Resultat weiter entfernt als der Rhein vom River Rouge. Das Triebwerk gilt in Fankreisen als sehr anfällig, was der Familienvater natürlich gar nicht gebrauchen kann. Stattdessen nimmt er den massiveren Zweiliter-Block des ST als Basis und verpasst ihm Schmiede-Innereien, verstärkte Zylinderkopfschrauben, eine größere Ansaugbrücke für den Turbolader, einen HJS Sportkat und ein K&N Luftfilter-Kit. Erst nach vier Jahren passt die Abstimmung wirklich perfekt. Auf der Jagd nach dem standfesten Leistungs-Upgrade sprengt die Beast Factory in dieser Zeit drei hauseigene Motoren.
Straßenleistung 379 PS, per Knopfdruck bis zu 560 PS
Diese Opfer bringt der IT-Projektmanager vor allem, weil er neben der marginal von 350 auf 379 PS (von 257 auf 279 kW) gestiegenen Standardleistung noch mehrere Motor-Maps bis sage und schreibe 700 PS (515 kW) anlegen möchte. Man kann ja nie wissen, wann man auf abgesperrter Strecke mal einen Lamborghini verblasen muss. Bevor er aber das gesamte Motoren-Ersatzteillager aufkaufen muss, lässt es der 42-Jährige bei 560 PS (412 kW) und maximalen 680 Nm Drehmoment bewenden. Die Serien-PS hebt er natürlich vor allem leicht an, um die 100 bis 150 kg Zusatzgewicht des Kombi-Aufbaus auszugleichen.
Interessant: Dank des Klappenauspuffs von Stoffler ist der RS Turnier "leiser als das Original", wie Dräbert nicht ohne Stolz berichtet. Bei geöffneter Klappe macht sein Ford natürlich umso mehr Rabatz. Bei der Abgasanlage reicht es zum Glück, die Endrohre für das längere Kombiheck zu erweitern. Fahrwerksseitig setzt er auf ein Gewindesystem der australischen Firma Pedders, das den Focus um 20 bis 30 mm tiefer in Richung Asphalt bringt.
Das eskalierte Freizeitprojekt dauert sechs Jahre
Mehr als sechs Jahre, die Geburten seiner beiden Töchter, die Covid-Pandemie, eine Firmengründung und ein Hauskauf später ist sie vollbracht, die Verwandlung vom ST Kombi zum Focus RS Turnier. Noch befindet sich das knapp 4,6 m lange Stück Leidenschaft in der Einfahrphase, was Sven Dräbert aber nicht davon abhält, seinem Auto für uns die Sporen zu geben. Nehmen wir also Platz und genießen die Show. Solange man nicht in das verlängerte Heckabteil blickt, wähnt man sich in einem serienmäßigen Focus RS. Der nachgerüstete Schaltknauf in Carbon-Optik lässt den Look von der Stange sogar fast noch glaubhafter erscheinen. Und das ändert sich auch kaum, wenn der Familienvater den aufgeladenen Vierzylinder anlässt.

Das, was da aus den Endrohren kommt, klingt tatsächlich eine Spur heller als das schmutzige Gebrabbel der Serienanlage. Das laut Dräbert noch zu weiche Fahrwerk taucht beim Kurvenkratzen hinten etwas ein, außerdem ist die Rad-Reifen-Kombination provisorischer Natur, weil der Schwabe seine Wunsch-Felgen nicht eingetragen bekommen hat. Das alles ist aber ganz schnell vergessen, wenn der Turnier zum Sprint ansetzt: Bereits in der Straßen-Konfiguration kämpfen die Reifen um Bodenhaftung, der Turbo-Schub setzt spät, aber gewaltig ein und dann ist schon der nächste Gang drin und das Spektakel beginnt von vorne.
Boost-Party mit Serien-Flair und große Pläne für die Zukunft
In der mächtigsten Motoreinstellung wiederholt sich die PS-Party, nur eben nochmals brutaler. Effektiv ist das natürlich nicht in Sachen Beschleunigungswerten, aber richtig spaßig, wie man RS auch interpretieren könnte. Dabei droht man wegen des extrem liebevollen Umbaus mit tonnenweise Serien-Flair zu vergessen, dass es sich bei Dräberts Auto immer noch um ein eskaliertes Freizeitprojekt handelt und nicht um ein Werk der großen Tuning-Player mit nahezu ungedeckeltem Budget. Trotzdem begibt sich der Familienvater umgehend nach unserem Treffen auf die Suche nach fehlender Performance.
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So hat sich anscheinend die Feder des externen Wastegates verklemmt, weshalb sich kaum Ladedruck aufbauen konnte. Auch eine neue Abgasanlage, neue Räder und ein härter eingestelltes Fahrwerk sind Teil des Update-Pakets, sodass bald sogar gut 600 PS (441 kW) anliegen sollen. Na, wenn das nicht mal nach einem Anlass klingt, uns das Auto nochmal zum Selberfahren vorbeizubringen. Vorher soll das Einzelstück aber von Mitte August bis Mitte September 2025 in JP Kraemers Pace Museum ausgestellt werden. Außerdem arbeitet Dräbert gerade daran, Ken Blocks Tochter Lia das Auto fahren zu lassen. Ihr berühmter und Anfang 2023 verstorbener Vater war selbst Kombi-verrückt und sollte den RS Turnier eigentlich ausprobieren nach der Fertigstellung.
Schon jetzt erlebt er nur positive Resonanz von allen Seiten. Der einzige, scheinbare Negativ-Kommentar? Lachend berichtet Sven Dräbert von einem Ami, der auf sein Auto reagierte: "Hey, wie kann man 60.000 oder 80.000 Euro in so einen Umbau stecken und man sieht gar nichts davon? Das ist der geilste Kommentar! Das Ziel war, dass man das nicht sieht, wie viel Arbeit und Liebe und Geld in diesem Projekt steckt."
Zugegeben: So einen Ford Focus Turnier in der Freizeit mit OEM-Qualität auf RS umzubauen, ist schon ein ziemliches Brett. Nicht nur das Auto, sondern auch den Ansatz von Sven Dräbert findet man so schnell kein zweites Mal. Und das beste daran? Er ist zugelassen, praxistauglich und für alle erlebbar, die das Glück haben, den Power-Kombi auf öffentlicher Straße anzutreffen. Auch wenn das Risiko natürlich hoch ist, dass man gar nicht erkennt, was für eine Sensation da vor den Augen herumfährt. Haben Sie und Ihr individualisertes Auto auch eine Geschichte zu erzählen? Dann schreiben Sie uns!