Problemfall Autodesign? Unser Pro & Contra im Kommentar
"Früher gab es noch uneingeschränkt schöne Autos mit besten Anlagen, sich zu künftigen Klassikern zu entwickeln, aber modernes Autodesign ist langweilig und beliebig" – diese Meinung hört man oft. Hat sie einen wahren Kern? Johannes Riesginger und Martin Urbanke argumentieren dafür und dagegen.

"Gutes Design orientiert sich am zeitgenössischen Geschmack", Martin Urbanke, Test-Redakteur
"Ja, ich weiß: Früher war mehr Lametta. Alles war besser – und schöner natürlich sowieso. Fiat Multipla, Ford Scorpio, der 7er aus der Feder von Chris Bangle … Na, merken Sie was?! Genau. Design-Kartoffeln, die selbst aus heutiger nostalgisch verklärter Sicht bestenfalls als kurios gelten können, gabs schon immer. Und beliebige Gestaltungsentwürfe sind ebenfalls keine Erfindung der Gegenwart, sondern waren stets Teil der ästhetischen Bandbreite. Auch die gern gedroschene Phrase, dass heute alle Autos SUV-uniform und uninspiriert aussähen, weil es an frischen Ideen mangelt, ist Quatsch. Ein besonders prägnantes Gegenbeispiel zu dieser Behauptung liefert die Neuinterpretation des Jaguar-Designs, das auch in 50 Jahren noch polarisiert – die einen werden es lieben, die anderen hassen. Allerdings: "Gewöhnlich" wird man es sicher nicht nennen.
Modisches Styling weckt neue Begehrlichkeiten
Zu extravagant? Schauen wir exemplarisch auf die aktuelle Opel-Linie: Das neue Family-Face mit dem markanten Vizor verpasst der gesamten Marke einen frischen Look, der das pummelig-piefige Biedermann-Image alter Modell-Generationen vergessen macht. Hyundai hat mit dem Ioniq 5 und dem Ioniq 6 ebenso viel Mut wie Kreativität bewiesen und völlig neue Proportionen etabliert. Gutes Design orientiert sich dabei meiner Meinung nach am zeitgenössischen Geschmack. Nur so gelingt es, ikonische Design-Konzepte wie jene von Porsche 911, VW Golf, Mazda MX-5 oder Toyota Land Cruiser mit jeder neuen Generation up-to-date zu halten. Ob man dabei nun Klavierlack oder Chrom als Stilmittel bevorzugt und eher LED-Signaturen oder Heckflossen als verspielt empfindet, ist schlussendlich Geschmacksache.
Weil Modell- und Markenvielfalt stetig wachsen, muss gerade das Design für Differenzierung und Identifikation sorgen, statt Einheitsbrei zu bieten. Vielleicht wirkt der optische Sprung von einem Modell zum nächsten wegen dieser enormen Angebotsdichte heute weniger dramatisch, und dass wir aktuell im Zeitalter der SUV leben, kann man bedauern. Aber mir, sowie offensichtlich auch vielen anderen, gefällts! Lametta hingegen mochte ich noch nie."
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Von der AUTO ZEITUNG getestet und empfohlen:
"Es ist wieder so weit: Das Autodesign ist restlos am Ende!", Johannes Riegsinger, Autor
"Bis tief in die 1950er hinein wurden Autos von Handwerkern und Ingenieuren gestaltet. Erst hier begann ein Autodesign, das man im heutigen Sinn als solches bezeichnen kann: um sich von anderen zu unterscheiden – und zwar über die Technik hinaus. Um Identität zu stiften, Begehrlichkeit zu wecken. Man mag das den schrullig-biederen Entwürfen dieser Zeit nicht ansehen, aber die mussten ja oft einfach noch den Nachkriegs-Mangel verwalten.
Als sich diese Epoche Heckflossen-bewehrt und Pastell-bunt in die 1960er verabschiedete, erfand man die Designkritik: Es war alles zu verspielt, man wollte statt des üppigen Barocks eine nüchterne Sachlichkeit zurück. Und bekam die in den Siebzigern: kantig, keilförmig, humorlos. Auch Rallyestreifen, Racing-Orange und Giftgrün konnten das nicht retten – und wurden schnell durch die neue Menschlichkeit der 80er ersetzt. Es kam zum Gegenpendel-Ausschlag in den Aerodynamik-90ern, gefolgt von Bangle-Kofferräumen, menschenfressenden Kühlergrills, Comic-Riesenrädern und so weiter ...
Styling und Effekt statt Proportion und Schönheit
Heute sind wir wieder so weit: Das Autodesign ist restlos am Ende! Wir ersticken in der SUV-Einheits-Proportion, werden von Lichtinszenierungen geblendet und mit Detailüberfluss belästigt. Klavierlack fällt dem Interieurdesigner ein, wenn ihm nichts mehr einfällt. Statt mit einwandfreier Funktionalität beschäftigen sich Heerscharen von Human-Interface-Stylisten mit dem Gaming-Look für Emotional-Experience-Unfug-Anzeigen, die sämtliche Sensoren des Autos eben als Beifang erbrechen: Es gibt G-Kraft-Werte in High-Res-Anzeige, doch man hat vergessen, die Klimaregler zu beleuchten. LED-Querleuchtleisten müssen derweil von Xpeng bis Tesla & Co. über die sonstige Abwesenheit von Design und Proportion hinwegtäuschen – der Einheitsbrei geht gerade viral und wird demnächst garantiert auch anderswo Karriere machen.
Ja, wie in allen Epochen gibt es derzeit auch ein paar wirklich ausnehmend schöne, gut gemachte, sinnvolle und sinnliche Autos – doch der Rest ist Sch#*ße, beschäftigt sich mit albernen Trends und täuscht Substanz durch Styling vor. Wie immer schon."