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Geht auch ganz einfach:

Münch 4 TTS E: Motorrad-Ikone mit NSU TTS-Motor

AUTO ZEITUNG

Das stärkste Serien-Motorrad der Welt wurde in der kleinsten Motorradfabrik der Welt gebaut: Zwischen 1973 und 1979 entstand in Altenstadt (Hessen) jeden Tag eine Münch 4 TTS E. Anno 1975 fuhr die AUTO ZEITUNG diese Exklusivität. 

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Inhalt
  1. Motorrad-Test von 1975: Münch 4 TTS E mit automobilem Herzen
  2. Viel aufwendige Technik auf kleinem Raum
  3. Keine Gewichtsprobleme im Sattel 
  4. Im vierten Gang von 60 bis 220 km/h
  5. Die Münch ist ideal für Fernreisen

Wer ganz spontan auf den Anblick einer Münch TTS E reagiert, wird wahrscheinlich solche Superlative von sich geben: ein Monstrum, ein Urviech, ein Berg aus Eisen. Das sind nun nicht gerade Attribute, die einem ein Motorrad sympathisch machen. Doch dieser erste Eindruck hält auch nicht lange an, wenn man anfängt, sich intensiver mit der Maschine zu beschäftigen. Gut, die Münch ist schwer: Sie bringt vollgetankt 295 kg auf die Waage. Sie wirkt breit. Aber hier unterliegen die Betrachtenden einer Täuschung. Die Münch ist immerhin einige Millimeter schmaler als eine BMW.

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Und hässlich? Das ist immer Ansichtssache. Wer genau hinsieht und die Details betrachtet, erkennt, dass die Münch eine Komposition aus lauter guten technischen Lösungen ist. Funktionalität ist schön, wenn oft auch gewöhnungsbedürftig. Zunächst der Motor. Er hat den für europäische Motorrad-Maßstäbe ungeheuren Hubraum von 1200 ccm, aufgeteilt in vier Zylinder, die in Reihe nebeneinander stehen.
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Motorrad-Test von 1975: Münch 4 TTS E mit automobilem Herzen

Das Aggregat ist schwäbischen Ursprungs: Es stammt aus dem NSU TTS. Friedel Münch, der Schöpfer des Motorrads, hat diesen Automotor vor etwa zehn Jahren für das Motorrad entdeckt. Seine Idee war, ein Motorrad zu bauen, das die kühnsten Wunschträume verwirklicht: Kraft sollte es haben, so viel wie ein Motorradreifen überhaupt auf den Boden bringen kann. Dabei musste es haltbar sein. Eben keine nervöse Rennmaschine mit PS aus kleinem Hubraum, sondern ein in großer Serie gebauter Motor mit relativ geringer Literleistung (83 PS/61 kW pro 1000 ccm).

Aus der Idee wurde Wirklichkeit: Die so konzipierten Motorräder stammen aus der kleinen Fabrik im hessischen Altenstadt. Etwa acht Stück im Monat. Von den vielen wirtschaftlichen Schwierigkeiten und wechselnden Eigentümern, die das Werk Friedel Münchs in dieser Zeit durchgemacht hat, soll hier nicht die Rede sein. Nur soviel: Heute liegt das Unternehmen sicher in der Hand des Kaufmanns und Motorrad-Enthusiasten Heinz Henke.

Münch 4 TTS E
Foto: Willy Bister
 

Viel aufwendige Technik auf kleinem Raum

Zu den guten technischen Lösungen an der Münch: Besonders auffällig hinter dem Motor wirkt das aus Elektron gegossene Hinterrad. Wie anders könnte auch die Kraft von 100 PS (74 kW) problemloser auf die Straße gebracht werden? Da ist ein in sich geschlossener Kettenkasten, der nicht nur die Kette ständig im Ölbad hält, sondern zugleich auch die Funktion eines Schwingarms erfüllt. Da sind riesige Trommelbremsen (250 mm Durchmesser), selbstverständlich belüftet, ebenfalls eine Konstruktion von Friedel Münch.

Da ist der verchromte Doppelschleifen-Rahmen, die Rickman-Gabel, die Kugelfischer-Einspritzanlage, das Hurth-Viergang-Getriebe, der Ölkühler. Das Auge wandert zwischen den zerklüfteten Räumen des vollgepackten Fahrwerks und entdeckt ständig neue, bei Motorrädern sonst kaum gekannte Fertigungsqualitäten. Mal in Chrom, mal in mattschwarzem Schrumpflack.

Wer nach dem Sinn solch aufwendiger Technik fragt, bekommt keine Antwort. Es sei denn, er fährt die Münch. Schon beim Einschalten der Zündung gibt sich die Münch akustisch anders als andere: Die elektrische Benzinpumpe surrt und hält die Einspritzpumpe unter stetem Kraftstoffdruck. Für die Benzin-Anreicherung beim Start dient ein kleiner Hebel am Lenker. "Nur einen Finger breit ziehen", gibt Konstrukteur Friedel Münch die Anweisung, "und nach einem Kilometer wieder zurückschieben." 

Tschak, tschak, tschak macht der elektrische Anlasser. Was dann zu hören ist, vermag die Lautmalerei nicht auszudrücken. Es ist wie das Fauchen eines wilden Tieres, das mit angespannten Muskeln vor der Käfigtür zum Sprung in die Freiheit ansetzt. Kurzes Gasgeben entlockt dem Motor bellendes Grollen. Etwas Geduld ist aber noch nötig: Fast fünf Liter Motoröl wollen aus dem Bauch der Münch in den Kreislauf gesetzt und einigermaßen auf Temperatur gebracht werden.

 

Keine Gewichtsprobleme im Sattel 

Beim Aufsitzen dann stellt man überrascht fest: War es vorher nicht einfach, die sechs Zentner in Balance zu halten, so sind im Sattel die Gewichtsprobleme verschwunden. Es ist, als ob man den Stier, den man, von vorn bei den Hörnern gepackt, nur mühsam halten konnte, nun von seinem Rücken aus beliebig dirigieren kann. Weiter überrascht, wie leicht die Kupplung zu ziehen ist: nicht relativ leicht, sondern absolut. Die Hand benötigt kaum Kraft. Das allerdings ist eine wichtige Hilfe beim Anfahren: Um die rund 300 kg in Bewegung zu bringen, bedarf es im ziemlich "langen" ersten Gang schon einiger Motordrehzahlen – etwa 4000 U/min –, um zügig loszufahren.

Weniger würde leicht den Motor absterben lassen. Mehr ließe das Vorderrad hochgehen. Ja, auch das ist mit der Münch möglich! Was nun folgt, läßt die Vergleiche mit Urtieren und Stieren vergessen. Was für eine Kraft, die mit der Masse so spielt, als sei sie nicht vorhanden. Ein kleiner Dreh am Gasgriff und – ehe man sich versehen hat – ist man jenseits der 50-km/h-Marke. Geschwindigkeits-Übertretungen innerhalb von Ortschaften sind in der Münch sozusagen mit eingebaut. In Altenstadt an der Ampel bleiben die Leute stehen und vergessen ihr Grün. Als hätten sie hier im Geburtsort der Münch so etwas noch nie gesehen. Bald merkt man: Sie wollen nicht nur sehen. Sie wollen auch hören.

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Im vierten Gang von 60 bis 220 km/h

Sollen sie haben: Münch-Sound, serienmäßig. Nicht durchdringend laut, aber kernig, kraftvoll. Mit einem Vibrato, wie bei den Bässen einer großen Orgel. Ist man zunächst versucht, zu fragen "Wo, bitte, gehts hier zur Autobahn?", dann erkennt man bald seine Fehleinschätzung der Münch. Auch kurvenreiche Landstraßen liegen ihr. Das scheint erstaunlich, ist aber leicht zu erklären: Erste Voraussetzung erfüllt das ausgezeichnete Fahrwerk, das mit den hinteren Koni-Federbeinen nicht nur einigermaßen komfortabel, sondern vor allem jeder Kurvenlage gewachsen ist.

Eine weitere Voraussetzung, die die Fahrer:innen ebenso überrascht an sich selbst registrieren, ist eine optimale Sitzposition: Trotz tief herabgezogener Sitzbank – das hält den Schwerpunkt der Maschine tief – stimmen Kniewinkel und Knieschluss am Tank, liegen Brems- und Schalthebel gut am Fuß. Und schließlich bilden die fein dosierbaren Bremsen die Voraussetzung dafür, daß die Münch mit ihren gewaltigen Beschleunigungsspurts an die Kurven herangeführt werden kann.

Da wir vom Beschleunigen reden: Könner:innen haben mit der Münch aus dem Stand die 100 km/h in 4,2 s geschafft. Formel-1-Werte mit einem Serienmotorrad! Münchhausens Ritt auf der Kanonenkugel war wohl kaum atemberaubender und viel weniger glaubhaft. Viel mehr Spaß macht das Beschleunigen mit der Münch im vierten Gang. Man stelle sich vor: Man bummelt so mit 2500 bis 3000 U/min dahin, reißt dann plötzlich das Gas auf und erfährt sofort und ohne Rucken einen Schub nach vorn, der gar nicht mehr nachlassen will. Das Ganze begleitet von einem sonoren Röhren, das sich in gewaltigem Crescendo zu einem orkanartigen Brausen steigert. Bis der Zeiger des Drehzahlmessers sich der 8000 nähert und die Tachonadel auf die 220 zugeht.

Münch 4 TTS E
Foto: Willy Bister
 

Die Münch ist ideal für Fernreisen

Die Münch braucht Auslauf, Fernziele. Münch-Fahrende lernen Entfernungen neu einzuschätzen. "In siebzehn Stunden bin ich von Dubrovnik nach Dortmund gefahren", erzählt ein Münch-Jünger aus dem Ruhrgebiet. Auf der Autobahn präsentiert sich dann auch die andere Seite der Münch. Und es zeigt sich, was sie im eigentlichen Sinne des Erfinders ist: Eine Maschine, mit der man auf langen Strecken hohe Reisedurchschnitte erzielen kann. Das fordert mehr die Disziplin und Wachheit der Person im Sattel als das Leistungsvermögen der Maschine. Ein Traum für 17.000 Mark Man fliegt auf den Horizont zu, spürt vorher kaum erkennbare Biegungen als langgezogene Kurven. Jetzt vertraut man nur noch auf Fahrwerk und Bremsen. Acht Zentner fliegen mit mehr als 200 km/h durch den Raum.

Die Autobahnausfahrt drückt die Geschwindigkeit fast bis zum Stand, so scheint es. Doch immer noch ist der vierte Gang gut genug. Erst im Ort wird zurückgeschaltet. Das Zwischengas lässt Passant:innen zusammenzucken. Fast widerwillig ist das gezähmte Urtier in den Stall zurückzubewegen. Der Motor schweigt. Die Münch scheint wieder nur das Trumm, das mit Mühe in den Hof geschoben werden kann. Aber Betrachtende wissen nun genau, warum es wider ihrer Natur ist, nur auf dem Kippständer begutachtet zu werden. Welcher Büffel hat je in einem Zoo seine wahren Qualitäten gezeigt? Wie schön, dass Friedel Münchs Traum Wirklichkeitgeworden ist.
von Hubert Clemens

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