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Geht auch ganz einfach:

Maserati 3500 GT Spyder Vignale: Traumwagen Im Reich der Sinne

Gentlemen mit Geschmack und feiner Erziehung fuhren früher Maserati. Eine Ausfahrt im 3500 GT Spyder öffnet die Sinne für wahre Schönheit

Claudios Smartphone klingelt. Er hört zu, spricht ein paar Sätze, mit der Stimme ins Telefon und mit den Armen in den grauen Himmel über Mantua. Alles in Ordnung, sagt er offenbar, auf Italienisch und mit Gesten. Dann überprüft er erneut die sieben Rundinstrumente am Instrumen-tenbrett seines Maserati 3500 GT Spyder Vignale und sagt, diesmal auf Italienisch und Englisch, ok, du kannst Gas geben. Alles klar, Claudio. Das Fahrpedal versinkt in der roten Auslegware, der dunkelblaue Maserati beschleunigt sehr nachdrücklich. 4500 Umdrehungen, vierter Gang, weiter geht’s. Er verträgt auch 5000, sagt Claudio, ein roter Strich am großen Drehzahlmesser bei der 50 zeigt die optimale Schaltdrehzahl. Sein Vater sei das gewesen, erzählt er weiter, der sei immer sehr besorgt, wenn der Spyder unterwegs ist.


MIT DEM 3500 GT WURDE MASERATI ZUM SPORTWAGEN-HERSTELLER


Dabei ist der blaue 3500 GT Spyder Vignale nicht der einzige Maserati im Fuhrpark der Familie. Es sind ein paar mehr, sagt der Zahnarzt aus  Alessandria vage, die Biturbos sind seine persönlichen Lieblinge. Aber der 3500, der sei der schönste und der Anfang von allem. Da hat er natürlich Recht, denn mit der Produktion des 3500 GT begann ab 1957 die Geschichte von Maserati als Hersteller von Serienautos. Alle davor produzierten Straßenfahrzeuge waren mehr oder weniger zivilisierte Versionen der Rennwagen der Marke. Der Sechszylinder-Reihenmotor im 3500 hat ebenfalls Motorsport-Wurzeln, er entstammt dem Maserati 350 S. Mit Doppelzündung und drei Weber-Doppelvergasern leistet er je nach Quelle um die 220 PS. Dennoch ist der Treibsatz kein nervöser Hochdrehzahl-Rennmotor. Fahrbarkeit und stämmiges Drehmoment standen bei der Entwicklung des Triebwerks eher im Vordergrund. So ist der Sechszylinder mit exakt 100 Millimetern Hub (Bohrung: 86 Millimeter) extrem langhubig ausgelegt. Entsprechend gelassen gibt sich das große Maserati-Cabriolet.

Der rund 1,4 Tonnen schwere 2+2-Sitzer hängt zwar nicht so nervös am Gas wie etwa ein zeitgenössischer Ferrari – der Schub ist dennoch sehr druckvoll. Ganz gleich, in welchem Gang, der 3500 GT öffnet genüsslich seine sechs Drosselklappen, schlürft Luft und Super Plus geräuschvoll durch die Ansaugkanäle und lässt die Kurbelwelle rotieren. Ingenieure mögen ausrechnen, mit welchem Tempo die sechs Kolben bei Nenndrehzahl zwischen den Totpunkten hin und her sausen. Mehr als 45 Giri x 100 auf dem großen Jaeger-Drehzahlmesser sind selten vonnöten, um den 3500 GT auch dem heutigen norditalienischen Alltagsverkehr lässig davonsprinten zu lassen.

Dabei tönt der Sechszylinder sonor und laut, doch nie aufdringlich. Claudio untermalt den Sechszylinder-Sound  vom  Beifahrersitz  mit Gesten: So müsse sich ein Auto anhören. Was man dagegen nicht hört: Wie leicht und geschmeidig sich der Maserati fährt. Die Burman-Schneckenrollen-Lenkung ist ausreichend leichtgängig, selbst bei langsamer Fahrt lässt sich der Spyder aus dem Handgelenk dirigieren. Schaltung, Kupp-lung und Getriebe sind nicht sperrig, sondern satt und sahnig. Mit etwas Feingefühl und Zwischengas klacken die Schaltverzahnungen fast widerstandslos ineinander. Dieses Gefühl mechanischer Präzision prägt das Fahren im Spyder, mehr als die Fahrleistungen, die den Maserati Ende der 50er-Jahre in die Supersportwagen-Klasse einsortierten.

200 KM/H LÄUFT DER VIGNALE SPYDER AUCH HEUTE NOCH LOCKER

Die Angaben in der zeitgenössischen Fachpresse unterscheiden sich, doch wer von einer Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 8,5 Sekunden und einer Höchstgeschwindigkeit von 215 km/h ausgeht, liegt nicht so weit daneben. 200 gehe der Maserati heute noch jederzeit, sagt Claudio, ohne zu erwähnen, wo er das im tempolimitierten Italien ausprobiert hat. Die Autobahn nach Modena ist nicht weit, doch wir bleiben auf der Landstraße. Die kühle Herbstluft fächelt bei Landstraßentempo nur sehr sachte über die Windschutzscheibe, bei hochgefahrenen Seitenfenstern ist es nicht mehr als eine sanfte Brise. Elektrische Fensterheber hat der Spyder serienmäßig, mit ihnen ist die Luftzufuhr in den Innenraum fein dosierbar. Kein Wunder, dass der Maserati damals als Gentleman-Sportwagen für feinere Herren galt. Wer es schneller und auffälliger liebte, konnte ja Ferrari oder Aston Martin fahren. Billiger war der Maserati 3500 GT deswegen jedoch nicht. 1962, als Claudios Exemplar gebaut wurde, kostete ein 3500 GT je nach Ausführung und Ausstattung bis zu 4,5 Millionen Lire. Deutsche Preislisten aus der Zeit listen das Touring-Coupé mit 43.900 Mark.

Der Spyder wird gar nicht erst aufgeführt, es dürften sonst an die 50.000 Mark gewesen sein. Damit spielte der Maserati in der allerobersten Preisliga, die meisten Konkurrenzmodelle waren deutlich günstiger. Ein Mercedes 300 SL Roadster etwa war für 32.000 Mark zu haben, der offene Lancia Flaminia von Touring für knapp 28.000 Mark, und der deutlich stärkere und schnellere Jaguar E-Type Roadster kostete gar nur 26.000 Mark. Womöglich ist das einer der Gründe, warum nur 245 offene Maserati 3500 GT entstanden. Die meisten gebauten Exemplare erhielten bei Carrozzeria Vignale die von Giovanni Michelotti entworfene Karosserie. Das Auto auf diesen Seiten ist eines davon. Pietro Frua erhielt ebenfalls den Auftrag, einen Spyder für das 3500-Chassis zu entwerfen. Sein Vorschlag blieb jedoch ein Einzelstück. Frua sollte bei anderen Maserati-Modellen zum Zug kommen. Zwei Chassis wurden mit Touring-Entwürfen karossiert, doch letztendlich erhielt Vignale den Zuschlag für den Spyder.

NUR 245 SPYDER WURDEN BIS 1964 GEBAUT – DIE MEISTEN BEI VIGNALE

Womöglich entschieden sich die Maserati-Chefs für die Vignale-Karosserie, weil sie deutlich moderner und sportlicher wirkte als die eher rundlichen und verschnörkelten Vorschläge von Frua und Touring. Eine formale Revolution wurde der Vignale Spyder aber nicht: Er zeigt Stilelemente, die Ende der 50er-Jahre gerade angesagt waren. Die Rückansicht mit den angedeuteten Heckfl ossen etwa  erinnert stark an einige Pininfarina-Designs jener Zeit für Ferrari, Lancia und Peugeot. Stilbildender geriet die Frontansicht des Spyder. Der hervortretende Kühlergrill mit dem prominenten Dreizack prägt bis zum aktuellen Gran Turismo und dem gerade vorgestellten Quattroporte der sechsten Generation die Frontansicht vieler Maserati-Modelle.

Unter dem bei Vignale geformten Blech zeigte der 3500 GT Vorsprung durch Technik. Maserati war in jener Epoche die innovativste der norditalienischen Sportwagenmarken. So konnte der 3500 auf Wunsch und gegen deftigen Aufpreis mit einer Lucas-Einspritzung geliefert werden – der erste italienische Supersportwagen ohne Vergaser. Von 1961 an hatte der Maserati zudem Girling-Scheibenbremsen an allen vier Rädern, ebenfalls ein Novum im damaligen Italien. Claudios Spyder von 1962 hat zwar die Scheibenbremsen, nicht jedoch den Einspritzmotor. „Mein Vater und ich, wir lieben dieses Auto“, wiederholt er vom Beifahrersitz, während sich die Silhouette von Mantua aus dem Nebel schält. Der Sechszylinder brummt aus seinen zwei dünnen Auspuffrohren. Meist wird er vom hinter uns fahrenden Gran Cabrio mit dem Fotografen an Bord übertönt. So laut wie der Klappenauspuff des Neuen ist der alte Maserati nicht. Ein echter Gentleman, dieser Vignale Spyder.

Maserati 3500 GT Spyder: Daten und Fakten
Antrieb
R6-Zylinder, längs eingebaut; 2-Ventiler; zwei obenliegende Nockenwellen; Doppelzündung; drei Doppelvergaser; Bohrung x Hub: 86 x 100 mm; Hubraum: 3485 cm3; Verdichtung: 8,5:1; Leistung: 164 kW/223 PS bei 5500/min; max. Drehmoment: 343 Nm bei 3500/min; Fünfgang-Getriebe; Mittelschaltung; Hinterradantrieb
Aufbau und Fahrwerk
Offene Stahlblech-Karosserie mit zwei Türen; Radaufhängung vorn: Dreieckslenker, Schraubenfedern, Teleskopdämpfer; hinten: Starrachse, Blattfedern, Teleskopdämpfer; Schneckenrollen-Lenkung; Bremsen: rundum Scheiben; Reifen: 185 HR 16, Räder: 6 x 16
Eckdaten
L/B/H: 4450/1630/1300 mm; Radstand: 2500 mm; Spurweite v./h.: 1390/1390 mm; Leer-/Gesamtgewicht: 1350/1600 kg; Tankinh.: 75 l; elektriche Anlage: 12 Volt; Bauzeit: 1958 bis 1964; Stückzahl: 245; Neupreis (1962): ca. 50.000 Mark
Fahrleistungen
Beschleunigung: 0 auf 100 km/h in 8,5 s; Höchstgeschwindigkeit: 215 km/h

Heinrich Lingner

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