Ford 20M/Mercedes 230.6: Classic Cars Ford tritt gegen Mercedes an
Der Mercedes 230.6 war der erste Mercedes der die Millionenmarke im Verkauf knackte und ist heute ein beliebter Oldtimer. Der Ford 20M hingegen, das einstige Spitzenmodell der Kölner ist rar geworden. Classic Cars lässt beide gegeneinander antreten.
Ein Mercedes, das war was. Wer den Stern in der Auffahrt parken konnte, hatte es zu etwas gebracht. Ford-Fahrer hingegen, das waren eher Arbeiter, die im Schichtdienst am Band standen. Nur ganz verwegene Führungskräfte griffen in den 60er- und 70er-Jahren zu den großen Sechszylinder-Modellen aus Köln. Das Blatt hat sich gewendet: Heute ist der Ford 20M (P7b) in finanzieller Hinsicht exklusiver als der Mercedes 230.6 (W114). Lag der Preis des Mercedes 1968 noch deutlich über dem des großen Ford, wird heute für den P7b mitunter mehr aufgerufen als für den legendären Mercedes 230.6. Zugegeben: Der Grund dafür dürfte in der Seltenheit des Ford liegen. Wann sieht man schon noch einmal eine der großen Kölner Limousinen, die nicht mehr Taunus heißen durften und tatsächlich dem späteren Granada den Weg bereiteten? Ford beschränkte sich seinerzeit auf eine Typenbezeichnung, die vom Hubraum abgeleitet war. Und so ist das von Dennis Grond für diesen Vergleich zur Verfügung gestellte Fahrzeug ein 20M XL, also ein 2,0-Liter-“Meisterstück“ mit gehobener Ausstattung. Unter der riesigen Haube arbeitet der kompakte V-Sechszylinder-Motor. Im 17M setzte Ford auch seinen V4 ein. Der Ford 20M P7b war der glattgebügelte Nachfolger des 1967 vorgestellten P7a. Der trug nämlich noch den amerikanisch inspirierten Hüftknick (spöttisch auch „Kummerfalte“ genannt), dessen Zeit allerdings abgelaufen schien. Die Kunden wollten eine moderne Optik und bekamen sie bereits zehn Monate später. Chefdesigner Uwe Bahnsen war zur „Linie der Vernunft“ zurückgekehrt.
Ford 20M & Mercedes 230.6 im Vergleich
Technisch blieb man bei Bewährtem: McPherson-Federbeine vorne, Starrachse und Blattfedern hinten. Sportliches Topmodell wurde der auch optisch aufgewertete 26M, Luxus brachte der hier gezeigte XL ins Modellprogramm. Mit Chrom und Metallic-Lacken außen sowie echtem Edelholz innen hob sich der zuvor als 20M TS angebotene Ford 20M P7b von den übrigen Modellen ab. Kritiker kreideten Ford an, mit allen Mitteln ein hochwertiges Auto anbieten zu wollen, das im Endeffekt aber doch nur ein aufgeplusterter P5 mit entsprechend veralteter Technik war. Andere wiederum freuten sich über die großzügigen Platzverhältnisse, das komfortable Fahrverhalten und die im Vergleich zu den Wettbewerbern günstigen Preise. Aus heutiger Sicht ist der Ford 20M richtig schön oldschool. Er ist komfortabel, wenn man geradeaus fährt. In Kurven – und die müssen gar nicht mal so schnell sein – neigt sich der große Ford 20M wie ein Ozeandampfer bei Seegang. Hin und wieder beginnt die Hinterachse zu trampeln. Der Vorteil der rustikalen und vielfach verwendeten Technik: Im Bedarfsfall lässt sich auch mal selber Hand anlegen, Ersatzteile sind einigermaßen gut zu bekommen. Natürlich ist auch in diesem Zusammenhang der Brand in Fords Ersatzteillager (1977) zu erwähnen. Er ist auf jedem Oldtimer-Treffen Gesprächsthema, sobald mindestens zwei alte Fords auf dem Platz stehen. Es ist nicht einfacher geworden, aber die Szene findet ihre Möglichkeiten.
Ford 20M P7 schlägt die Brücke zu den beliebten US-Cars
Gerade in Rockabilly-Kreisen ist der amerikanisch angehauchte P7 beliebt, wird mit Chromfelgen und anderen Accessoires ausgestattet. Er ist halt cool geworden, der große Ford. Auch wenn die Kunden das damals noch nicht erkannten: Keine 570.000 Exemplare der gesamten 20M P7b-Baureihe konnte Ford an den Mann bringen. Der schärfste Konkurrent Opel brachte es auf knapp 1,4 Millionen Rekord C/Commodore A. Selbst der deutlich teurere Mercedes W114/115 verkaufte sich besser: Alleine von dem zu unserem Vergleich herangezogenen Mercedes 230.6 der ersten Serie lieferten die Stuttgarter 216.000 Exemplare aus. Insgesamt überschritt Mercedes mit der Baureihe erstmals die Marke von einer Million Stück. Das Image war herausragend. Wer es sich leisten konnte, griff ohne zu zögern zum guten Stern auf allen Straßen. Gerne zeigte man bei der samstäglichen Autowäsche in der Garageneinfahrt, was man hat, während man heimlich von der S-Klasse träumte. Dabei war der Mercedes 230.6 sogar noch moderner als sein großer Bruder: Erstmals verwendete Mercedes die neu konstruierte Schräglenker-Hinterachse, offiziell „Diagonal-Pendelachse“ genannt. Vorne kamen doppelte Querlenker zum Einsatz, Scheibenbremsen an beiden Achsen erhöhten die Sicherheit. Damit wollte man zum Konkurrenten BMW aufschließen, dessen Autos als viel dynamischer galten. Das Wohl der Insassen spielte bei der Forschung und Entwicklung eine große Rolle für Mercedes: In zahlreichen Crashtests wurde die Karosserie in dieser Hinsicht optimiert.
Der Mercedes 230.6 unaufgeregt, aber stets solide
Gerade in seinem Erscheinungsjahr 1968 galt der Mercedes 230.6 als Symbol für das spießige Establishment, war er doch so sachlich und bieder. Genauso unauffällig – im besten Sinne – fuhr und fährt er sich. Gerade diese Unaufgeregtheit schätzt man bis heute an ihm. Der von Paul Bracq gezeichnete Strich-8 gehört zu den beliebtesten Oldtimern Deutschlands. Trotz seiner massiven Rostprobleme sind von den 1,9 Millionen gebauten Exemplaren eine ganze Menge gerettet worden. Und so bietet er seinen Besitzern (in diesem Fall Roland Trautmann, der uns mit seinem 1973er Mercedes 230.6 unterstützte) das Mercedes-typische Fahrgefühl. Sein Motor klingt nicht, er arbeitet. Zuverlässig entfaltet er seine Kraft. Auch der Mercedes ist kein Kurvenwunder, fühlt sich aber deutlich souveräner an, wenn es ums Eck geht. Die Bedienung lässt – wie beim Ford – keine Fragen offen. Intuitiv findet man sich in beiden Autos zurecht. Das schwarze Kunststoff-Cockpit des Mercedes 230.6 wirkt dabei deutlich jünger als Fords Holz-Landschaft.
Automatik im Mercedes 230.6 sorgt für gediegenes Fahrgefühl
Die im Falle des Mercedes 230.6 verwendete Automatik kostet zwar Zeit und Kraftstoff. Aber sie passt zum gediegenen Dahingleiten im Benz. Man könnte sie sich gut auch im Ford vorstellen, wo sie das amerikanische Fahrgefühl unterstreichen würde. Das höhere Gewicht und das Getriebe schlucken die Mehrleistung: Der Mercedes 230.6 und der Ford 20M erreichen die 100-km/h-Marke etwa gleich schnell. Der Stuttgarter erzielt aber die höhere Endgeschwindigkeit, wenn man sie denn einmal ausreizen möchte. Platz gibt es in beiden Autos ausreichend, wobei die Sitze des Mercedes etwas mehr Halt und die Kopfstützen zusätzliche Sicherheit bieten. Beide Limousinen laden zum täglichen Fahren ein Solide Technik unter einer rostanfälligen Karosserie – das zeichnet nach 50 Jahren beide Autos aus. Im guten Zustand stellen sie ihre Besitzer weder fahrerisch noch technisch vor eine Herausforderung. Sowohl der Ford als auch der Mercedes eignen sich theoretisch sogar als Alltags-Oldtimer. Man muss es nur wollen.
Technische Daten Ford 20M/Mercedes 230.6
Ford wollte mit dem P7 hoch hinaus, Mercedes rundete mit dem Strich-8 seine Modellpalette nach unten ab. Heute ist bekannt: Die Stuttgarter hatten mehr Erfolg mit ihrer Limousine und deren Derivaten. Das hat sich kaum geändert: Um den Mercedes kümmert sich längst eine große Fan- Gemeinde, er ist für Oldtimer- Freunde eine sichere Bank. Der Ford hingegen fristet sein Dasein noch weitgehend abseits des großen Trubels. Dabei bietet er im Vergleich zum moderner wirkenden Mercedes-Benz noch mehr Oldie-Feeling. Aber: Gute Autos sind kaum zu finden – das macht sie so wertvoll. Gerade deswegen gilt es, den großen Ford zu retten!