Büssing Supercargo Decklaster: Unterflur-Lkw mit VW-Genen
Wenn sich ein Hersteller auf eine bestimmte technische Marschrichtung festlegt und sich auch nicht von Widerständen einbremsen lässt, kann die Geschichte eigentlich nur in zwei Varianten enden: Entweder, man heißt Porsche und wird mit dem Boxermotor im Heck zur Legende, oder es droht das traurige Schicksal von Büssing. Die im Jahre 1903 gegründete Lkw- und Omnibusmarke mit dem Löwen im Logo hatte ab den 1930er-Jahren begonnen, mit Unterflurmotoren zu experimentieren und transportierte in den 1950er-Jahren mit dem Antrieb unterhalb der Ladefläche sowie zwischen den Achsen das Wirtschaftswunder über die vielen neuen Autobahnen.
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Aber während Konkurrenten wie MAN, Magirus-Deutz oder Mercedes ihren Fokus zunehmend auf Frontlenker setzten, blieb Büssing seinem parallel gefertigten Steckenpferd auch in den 60ern nicht nur treu, sondern erfand auch noch weitere Spielarten fürs Transportwesen. Allein schon optisch stach der Büssing Supercargo Decklaster heraus: eine völlig ebene, 10,3 m lange Ladefläche, die auch vor der Fahrerkabine nicht haltmachte. Letztere wanderte dafür auf Pkw-Niveau in Richtung Asphalt. Diese Konstruktion war eine Sensation, die aber schlichtweg zur falschen Zeit kam.
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Ladefläche über der Fahrerkabine: Der Büssing Supercargo Decklaster sollte den Transport revolutionieren
Ab 1960 hatte die Firma aus Braunschweig mit ihrem Wolfsburger Nachbarn VW gemeinsame Sache gemacht und die Entwicklung des Decklasters angestoßen. Zu diesem Zeitpunkt beabsichtigte VW, 50 Exemplare des fortschrittlichen Transporters zu kaufen. Der Technologieträger besaß bereits eine Luftfederung und ein Automatikgetriebe, als sich viele andere Lkw noch mit Blattfedern und unsynchronisierten Handschaltungen durch die junge Bundesrepublik wühlten. Hinter den beiden vorderen Achsen fand sich ein 7,4 l großer Sechszylinder-Diesel aus eigenem Hause mit 145 PS (107 kW), der die Hinterachse ansteuerte.
Erklärtes Ziel von Büssing und VW war es, schlichtweg den Transport zu revolutionieren. Die Ladefläche des Prototyps war nur 1,4 m hoch, sodass er frontal an eine Laderampe gefahren werden konnte. Dank eines rollierendes Ladeträgersystem ließ sich das Transportgut über Schienen bis ans Ende der Ladefläche manövrieren. Für das Be- und Entladen ohne Rampe stand ein am Heck montierter Bord-Gabelstapler bereit. Insgesamt versprach der Büssing-Katalog eine Verkürzung der Ladezeit auf rund ein Zehntel.
Eine andere Erfindung gräbt Büssing das Wasser ab
Doch man hatte die Rechnung ohne den Container gemacht. Mitte der 1960er, als der Büssing Supercargo Decklaster gerade so ins Rollen kam, sattelte die gesamte Industrie auf die 20 oder 40 ft langen Metallquader um. Das Problem: Für den großen Container war die Ladefläche der Unterflurmaschine zu kurz, für die kleine Variante blieben gut vier Meter auf dem Supercargo ungenutzt. VW fror das Projekt ein, die Speditionsbetriebe verloren das Interesse. Büssing hatte viele Ressourcen in das Unterflur-Projekt gesteckt, mittlerweile rutschte man immer tiefer in die roten Zahlen ab. 1971 übernahm MAN den strauchelnden Konkurrenten.
"Der Decklaster war ein Sargnagel", bestätigt auch Joachim Fehrenkötter. Der Chef des gleichnamigen Speditionsbetriebs besitzt den einzigen gebauten Büssing Supercargo Decklaster und kann noch mit der ein oder anderen Anekdote aufwarten. So wollte MAN den Prototypen seinerzeit nach der Übernahme zerstören, doch kurz vor knapp konnte er noch von einem fasziniertem Spediteur gerettet werden. Geschont wurde das Einzelstück aber nicht: Über mehr als eine Million Kilometer transportierte der ungewöhnliche Lkw fortan Fensterscheiben vom Ruhrgebiet aus in die Welt.
Komfort-Geheimnis: Sitzwinkel vom VW Käfer
Nachdem Fehrenkötter den Supercargo Decklaster Anfang der 2000er übernommen hatte, traf er zufällig einen ehemaligen Büssing-Mitarbeiter, der ihm das Geheimnis des angenehmen Langstreckenkomforts im Unterflur-Laster verriet: Weil die Lkw-Planenden kein Vorbild für die unübliche Sitzposition weit unten hatten, kopierten sie einfach den Sitzwinkel des VW Käfer. Natürlich hatte das vor den Vorderachsen angesetzte Führerhaus aber nicht nur Vorteile, wie Fehrenkötter verrät: "Man gewöhnt sich an alles. Aber im Regen fährst du in deiner eigenen Gischt. Da siehst du nach hinten raus nichts."
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Ein- bis zweimal im Jahr holt der Spediteur das Einzelstück für Events und Treffen aus dem firmeneigenen Museum. Den Gedanken an eine Restaurierung hat er längst wieder verworfen: "Wenn man den einmal auseinandernimmt, kriegt man den nicht mehr zusammen." Der Decklaster sollte trotz seines Flops übrigens nicht der letzte Lkw mit Unterflur-Zugmaschine werden: 20 Jahre später adaptierte ein gewisser Manfred Steinwinter die Büssing-Idee. Was daraus geworden ist, lesen Sie hier.