VW 411 Variant & BMW 2000 Kombi: Vergessene Packesel
Es wird nichts mit dem Ruhestand, die Alten rackern einfach weiter. Und weil das nicht im Wirtschaftsteil steht, sondern in Classic Cars, ist es eine gute Nachricht. Marc Voß, der Besitzer des ulmengrünen VW 411 LE Variant, hat eine Anhängerkupplung nachgerüstet, damit zieht sein alter Kombi auch mal einen Anhänger voller Europaletten weg. Und die etwas zu neue Dachreling, die der französische Vorbesitzer seines VW 411 montiert hat, sieht Voß nicht als Stilbruch, sondern als Einladung, am Wochenende die Fahrräder oder das Kanu aufs Dach des Klassikers zu packen.
Bei BMW haben sie ihren 2000 Kombi von 1970 nur deshalb aus dem Depot geholt und restauriert, um ihn als Servicewagen bei Oldtimerrallyes mitfahren zu lassen. Genau damit ist der Originalzustand wiederhergestellt, wie die verblassten Aufkleber in der Windschutzscheibe zeigen: Denn schon in den Siebzigern ist er als Werkstattkombi bei den großen europäischen BMW-Clubtreffen in Belgrad, Opatija und Salzburg dabei. Selbst bei den Olympischen Spielen 1972 macht er sich mit seiner großen Heckklappe nützlich, obwohl er da schon im Schatten des neuen 5er steht. Aber auch den gibt es längst nicht als Kombi zu kaufen, weshalb der alte 2000er noch bis 1978 im BMW-Fuhrpark ran muss. Da ist er nach Meinung der Marketing-Leute gut aufgehoben, nicht vor den weißen Winkelbungalows der dynamischen Besserverdiener, denen BMW seit den frühen Sechzigern die Freude am Fahren näherbringt.
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VW 411 LE Variant & BMW 2000 Kombi: Randnotizen der Kombi-Geschichte
Die Zeiten sind förmlich, das ist im VW 411 LE Variant ebenso zu spüren wie am Lenkrad des BMW-Kombi-Unikats. Viel haben sie auf den ersten Blick nicht gemeinsam, doch das Feinvelours auf den Sitzen und die reichliche Verwendung von Chromzierrat gehören dazu. Auf den zweiten Blick verbindet sie sogar das ähnliche Fahrwerkslayout, doch im Schauraum des Jahres 1970 floppt nur der VW. Er ist das Oberklasse-Modell, auf das außerhalb Wolfsburgs niemand gewartet hat. Gleichzeitig verzichtet BMW auf die Serienproduktion des Sportkombis, obwohl die Marktnische nicht zu übersehen ist.
Sicher, als der Werkstattwagen im Jahr 1970 entsteht, ist es zu spät. Auch mit dem durchzugsstarken Zweiliter-Vierzylinder sind die Limousinen der Neuen Klasse keine taufrischen Autos mehr. Natürlich ist es nicht die Technik oder das Handling, das sie altern lässt, sondern die Karosserie, deren Trapezform im Stilgefühl der frühen 60er wurzelt. Doch schon damals, als die Neue Klasse noch ein 1500er ist, lässt BMW zwei Kombis als "Begleitwagen für unsere Sportbetreuer" bauen, wie es der damalige Technikchef Helmut Werner Bönsch formuliert. Und er merkt auch an, dass der Umbau "von einer Pforzheimer Firma" stammt, nicht etwa von BMW-Hauslieferant Baur, wie es in anderen Quellen heißt.
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Der BMW 2000 Kombi hat nichts mit Serie am Hut
Wahrscheinlich meint Bönsch dieselbe Firma Seeger & Gaus, die 1970 in Birkenfeld bei Pforzheim sitzt und auf Basis einer beigefarbenen 2000 Limousine einen weiteren Servicewagen im BMW-Auftrag baut – diesen einen Überlebenden, dessen C-Säulen den Hofmeister-Knick behalten dürfen, während der bei den Vorgängern noch mit hohem Aufwand begradigt wurde. Auch der belgische Rennfahrer und Karossier Jacques Coune macht sich 1965 seine Gedanken um einen Sportkombi auf Basis des BMW 1800. Coune hat einen sicheren Blick für lukrative Kleinserien. So verwandelt er den MGB in einen Fastback-Sportwagen, der wie ein Schrumpf-Ferrari aussieht, baut Cabrio-Versionen der Volvo Amazon und Edelkombis auf Basis der Mercedes-Heckflossen-Modelle.
Anders als die Kollegen in Pforzheim spart er nicht an der zu kleinen Heckscheibe, sondern realisiert einen filigranen Anbau mit schlanken C- und D-Säulen, niedriger Ladekante und hochglanzlackiertem Holzboden im Kofferraum. Alles das und eine umlegbare Rückbank hat Counes Kombi dem Werkstattwagen von 1970 voraus, dennoch verkauft er – je nach Quelle – nur zwei oder vier Exemplare davon. Dass der belgische Edelfrachter nicht billig sein kann, zeigen sogar die wenigen unscharfen Fotos, die heute auf BMW-Fanseiten zu sehen sind. Außerdem zieht es viele der italienischen Feinblechner, die Coune beschäftigt, in ihre Heimat zurück.
Auch der Servicewagen von 1970 sieht eleganter aus als seine beiden Vorgänger, aber von der Serie ist er so weit entfernt wie das Atomium vom Hofbräuhaus. Anders als bei den früheren Exemplaren reicht die Heckklappe nur bis über die Rückleuchten, denn die stehen beim 2000 nicht mehr hochkant, sondern machen sich ab 1966 so breit, dass die Schrauber:innen ihre Werkzeugkisten über die hohe Ladekante wuchten müssen. Die Rückbank steht so starr und steil im Innenraum, wie sie das Werk für die 2000 Limousine schuf. So kommt es, dass nach über 50 Jahren auch der VW 411 einen Vergleich gewinnen kann. Damals, zu Beginn der 70er, ist er der langnasige Cyrano unter den Mittelklasse-Wagen und ein Auto, hinter dessen Lenkrad sich BMW-Anhänger:innen nur in mondlosen Nächten zeigen würden.
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Nähe zu Porsche: Die Zahl 411 ist kein Zufall
Doch wenn der VW 411 heute neben dem BMW 2000 steht, dann ist er trotz der fehlenden Fondtüren ein perfekter Familienkombi, wie er damals aus der Neuen Klasse nicht mehr werden kann. Wenn es um die praktischen Dinge des Lebens geht, hilft es dem 411 LE, dass er von gestern ist, obwohl es ihn erst seit 1969 gibt. Sein Entstehen fällt noch in die Amtszeit des ersten VW-Generaldirektors Heinrich Nordhoff, der bis zu seinem Tod im Jahr 1968 an das ewige Leben des Käfers glaubt. Auch das erste Oberklasse-Modell aus Wolfsburg muss deshalb einen luftgekühlten Boxer im Heck tragen. Doch wenigstens beherrschen die Konstrukteur:innen in Wolfsburg das Plattdrücken ihrer Motoren so gut, dass sich im 411 Variant gleich zwei Kofferräume auftun. Schon die Ladefläche im Heck reicht für das kleine Familiengepäck, doch der Vorbau des Kingsize-Käfer enthält einen weiteren Stauraum, der fast Badewannen-Format erreicht.

Der Preis für den Nutzwert sind die verrutschten Proportionen, die den VW 411 vor 50 Jahren zur tragischen Figur der Mittelklasse machen. So unkonventionell wie er darf ein Aufsteigerauto nicht aussehen, auch wenn es so gediegen verarbeitet und gut ausgestattet ist wie das VW-Topmodell. Ein viertüriger BMW 2000 kostet fast 4000 Mark mehr als ein 411 LE Variant, doch er ist nicht besser verarbeitet als der Volkswagen mit seinen kerzengeraden Karosseriefugen, der oberklassigen Lackierung und den durablen Kunststoffen im Innenraum. Schöne Kombis heißen damals nicht Variant, auch das verstellt den Blick auf den jenseitigen Aufwand, den Volkswagen betreibt, um den Typ 4 in der gehobenen Mittelklasse durchzudrücken.
Schon die Zahl 411 ist kein Zufall, sondern ein Hinweis auf den Porsche 911, mit dem sich der große Volkswagen das Fahrwerkskonzept mit McPherson-Vorderachse und hinteren Schräglenkern teilt. Der 1,7-l-Wasserboxer treibt gleichzeitig auch den Einsteiger-Porsche 914 an, die damals hochmoderne Bosch D-Jetronic hilft dabei und ermöglicht eine Leistungssteigerung von 68 PS (50 kW) auf 80 PS (59 kW). Zum ersten Mal in der noch jungen Volkswagen-Geschichte fühlt es sich im VW 411 LE nicht falsch an, wenn die Kurbelwelle des Boxermotors 6000 Mal in der Minute rotiert.
Fahrdynamisch sieht der VW 411 kein Land gegen den BMW 2000
Sicher, bei BMW können sie das schon viel länger und besser. Und natürlich sieht der VW 411 LE kein Land gegen den BMW 2000, der nur zehn Kilogramm schwerer ist und seine Kraft aus der Tiefe des Hubraums schöpft. Damals ist er mit seinen 100 PS (74 kW) ein enorm schnelles Auto, weil sich die versprochenen 160 km/h Spitze ohne feuchte Handflächen erreichen lassen.
Ein VW 411 dagegen eignet sich gut dafür, den Kindern der Generation ESP zu erklären, was eigentlich dieses Unter- und Übersteuern bedeutet, auch wenn sich die Wisch- und Weg-Neigung seines Hecks vergleichsweise leicht korrigieren lässt. Marc Voß hat sich daran gewöhnt, auch wenn er den VW vor allem wegen der Farbe kaufte, nicht wegen der praktischen Talente. Doch inzwischen nimmt er seinen 411 auch mit in den Urlaub, wenn es sonst nichts zum Dranhängen oder Draufpacken gibt. Und auf den Servicewagen von BMW, der heute offiziell "Wiederflottmacher" heißt, warten die Liegenbleibenden der nächsten Rallyes. Alles, nur nicht zurück in den Ruhestand.

Technische Daten von BMW 2000 Kombi und VW 411 LE Variant
Classic Cars 9/2021 | BMW 2000 Kombi | VW 411 LE Variant |
Zylinder/Ventile pro Zylin. | 4/2 | 4/2 |
Hubraum | 1990 cm³ | 1679 cm³ |
Leistung | 74 kW/100 PS 5500/min | 59 kW/80 PS 4900/min |
Max. Gesamtdrehmoment bei | 163 Nm 3000/min | 132 Nm 2700/min |
Getriebe/Antrieb | 4-Gang/Hinterrad | 4-Gang/Hinterrad |
L/B/H | 4500/1710/1445 mm | 4553/1650/1485 mm |
Leergewicht | 1130 kg | 1120 kg |
Bauzeit | 1970 | 1969–1972 |
Stückzahl | 1 | 176.485 (alle 411/412 Variant) |
Beschleunigung null auf 100 km/h | ca. 14 s | ca. 18 s |
Höchstgeschwindigkeit | ca. 160 km/h | 155 km/h |
Verbrauch auf 100 km | ca. 13 l | ca. 12 l |
Grundpreis (Jahr) | k.A. | 8770 Mark (1970) |
Der VW 411 LE Variant wirkt heute definitiv anziehender als damals. Zum charismatischen Sportkombi fehlt ihm nur eine Prise des Porsche 911, aber solche Wagnisse gehen sie in Wolfsburg dann doch nicht ein. Die Zeiten sind konservativ, Gutverdienende fahren Limousinen, ein Kombi riecht nach Maloche: Auch für BMW gibt es damals gute Gründe, bis 1987 keinen Fünftürer im Programm zu haben. Am Potenzial der Neuen Klasse liegt es bestimmt nicht.