Luxus-Fahrschule: Ein Tag in der Rolls-Royce Chauffeur Academy
- Cheftrainer mit Schirm, Charme und Schere – Andi McCann
- Hohes Fehlerpotenzial: Vom makellosen Auftritt über Routenplanung bis hin zu Small Talk
- Smartphone weglegen – es lenkt nur ab und stört zudem die Physis
- Das Öffnen der Türen folgt einer klaren Choreografie
- Jetzt folgt die Praxis: stilecht am Steuer eines aktuellen Phantom VIII
- Bremsen aus dem Fußgelenk, vorausschauendes Fahren und das richtige Lenken
Cheftrainer mit Schirm, Charme und Schere – Andi McCann
Für meine Teilnahme am "White Glove"-Programm habe ich mich heute mächtig in Schale geschmissen: Dunkler Anzug, Lederschuhe, dazu weißes Oberhemd samt Krawatte – ich habe mich noch nie so schick gemacht, um ein Fahrtraining zu absolvieren. Und jetzt das: "Eigentlich gibt es heute kaum noch Chauffeure im Anzug", kommentiert Andi McCann mein Styling. "Es sei denn, der Auftraggeber verlangt es oder man fährt für ein Hotel." Er muss es wissen, denn Andi schult seit 2010 sämtliche Chauffeur:innen, die sich für ihren Job am Steuer bei Rolls-Royce ausbilden lassen.
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Der Rolls-Royce Cullinan Black Badge (2019) im Fahrbericht (Video):
Doch das geschieht nur selten in Gruppen, sondern ist ein auf die jeweilige Person zugeschnittenes, höchst individuelles Training. Heute also bin ich es, der von Andi unterwiesen wird. Was ich denn lernen wolle? Na ja, möglichst viel und von allem etwas. Etikette, Fahrtechniken, allgemeines Verhalten – solche Dinge eben. Im Handumdrehen springt Andi mir an den Hals und zückt eine Schere!
Habe ich etwas Falsches gesagt? "Da ist ein kleines Fädchen, das entferne ich mal gerade", erklärt Andi sein Verhalten. Und wo wir uns nun schon näher gekommen sind, bindet er mir auch gleich die Krawatte neu. "Wenn man Krawatte trägt, sollte der Knoten absolut gerade und symmetrisch sitzen. Das geht am besten mit dem doppelten Windsor", doziert er, während er meinen Binder zurechtnestelt. Ok, ich gebe es zu: Es war nicht nur verdammt früh heute Morgen, sondern ich beherrsche auch nur den einfachen Windsor-Knoten. Aber ich bin lernwillig.
Hohes Fehlerpotenzial: Vom makellosen Auftritt über Routenplanung bis hin zu Small Talk
Nachdem ich nun in Form gebracht bin, steigen wir nahtlos in die theoretischen Grundlagen ein: Ein gepflegter, makelloser Auftritt ist für ein:e Chauffeur:in unerlässlich. Den Dresscode bestimmen die Arbeitgeber, der Anlass und die Wünsche der Fahrgäste. Uniformen und Anzüge stellen dabei eher die Ausnahme dar, bequeme Kleidung ist durchaus üblich. Jedoch sollten die Schuhe Ledersohlen besitzen – mehr dazu später. Wichtig ist auch, dass schon am Vortag darauf geachtet wird, keine Speisen mit viel Knoblauch oder Ähnlichem zu sich zu nehmen. Denn selbstverständlich darf die Person am Steuer im Auto nicht nach Essen, Rauch oder Schweiß riechen, um das Wohlbefinden seiner Passagier:innen nicht zu beeinträchtigen.
Außerdem beginnt der Job schon lange bevor der Fahrgäste begrüßt wird und ins Auto steigt. Die Route will geplant werden: Gibt es Baustellen auf der Strecke? Finden Großveranstaltungen statt, die für ein erhöhtes Verkehrsaufkommen oder Sperrungen sorgen könnten? Sind Staus zu erwarten – und wie könnte man diese umfahren? Fragen, die vorab geprüft und einkalkuliert werden. "Menschen, die sich einen Chauffeur leisten, wollen in aller Regel Zeit gewinnen", sagt McCann. "Es liegt beim Fahrer, Verzögerungen nach Möglichkeit zu vermeiden."

Apropos Timing: Wer pünktlich ist, ist bereits zu spät. Andi empfiehlt, rund 15 min vor dem verabredeten Zeitpunkt abfahrbereit zu sein. Manchmal sind die Fahrgäste doch früher fertig als erwartet und möchten dann natürlich nur ungern auf ihr Auto warten beziehungsweise freuen sich, wenn dieses schon bereitsteht. Bei Abholungen am Flughafen etwa sei es zudem Aufgabe der Person am Steuer, den Flug online zu beobachten, um auf Änderungen der Ankunftszeit reagieren zu können. Stundenlanges Warten im gebührenpflichtigen Parkbereich gilt es ebenfalls zu vermeiden. Schließlich haben diejenigen, die sich einen Rolls-Royce leisten können, oft eine sehr innige Beziehung zum Geld und erwarten einen verantwortungsvollen Umgang damit. Horrende Parkkosten auf der Spesenabrechnung sind da nicht gern gesehen.
Ich sehe schon, es gibt reichlich Gelegenheiten, um Fehler zu begehen. "Egal, was unterwegs passiert, es ist immer die Schuld des Fahrers", sagt Andi. "Plane deine Fahrt so, dass du dich nie entschuldigen musst." Gut, dass die Route, die wir im Anschluss fahren wollen, von Andi vorgegeben wird. Doch bevor es auf die Straße geht, gibt mir der Trainer noch Tipps zur Begrüßung der Gäste und zu adäquaten Small-Talk-Themen. Außerdem bekomme ich einen Parforce-Ritt durch die bewegte Geschichte der Marke Rolls-Royce, die übrigens schon seit 1910 Chauffeur:innen ausbildet.
Von der AUTO ZEITUNG getestet und empfohlen:
Smartphone weglegen – es lenkt nur ab und stört zudem die Physis
Was bedeutet "Luxus", und wie kann die Person am Steuer eines Rolls-Royce seinen Teil dazu beitragen, diesen Luxus an Bord erlebbar zu machen? Individuelle Ansprache und personalisierte Details – etwa in Form des Lieblingswassers oder der bevorzugten Lektüre – sind ein ebenso wesentlicher Faktor wie Wertschätzung und Diskretion. Bevor wir nun am stehenden Auto im Studio weitermachen, demonstriert er mir noch, welche Auswirkungen schon minimale Asymmetrien in der Sitzposition auf die Körperspannung und somit letztlich auf die physische Fitness und die fahrerischen Qualitäten bewirken.
Das Thema Kinästhetik erweist sich als Steckenpferd des Hobby-Rennfahrers und begeisterten Skisportlers McCann, der in seiner Vergangenheit auch schon Stars aus dem Ski-Weltcup sowie Formel 1-Piloten gecoacht hat – der Mann weiß also, wovon er spricht. Als nächstes führt er an mir ein Experiment durch um zu zeigen, welchen enormen Einfluss das Smartphone auf meine Physis nimmt: Mit geschlossenen Augen soll ich dem sanften Druck widerstehen, den er auf meinen ausgestreckten Arm ausübt. Klappt locker.
Dann trägt seine Kollegin mein Telefon – von mir unbemerkt – näher zu mir: Schon sobald das Gerät etwa bis auf Armeslänge näher gekommen ist, habe ich Probleme, dem Druck Stand zu halten. Ist es nur noch wenige Zentimeter entfernt, bin ich chancenlos. Das gleiche Phänomen stellt sich ein, wenn ich das Smartphone in der Brusttasche trage. Ich bin gleichermaßen erstaunt wie entsetzt. Andi appelliert: Im Auto sofort weg mit dem Ding. Es ist ohnehin verboten und außerdem unangemessen, während der Fahrt Nachrichten zu checken.

Beim Training am Auto erläutert Andi mir die wesentlichen Funktionen der Bedienelemente im Fond. Schließlich wird von der Person am Steuer erwartet, dass sie den Gästen während der Fahrt erklären kann, wo und wie sie die Leseleuchten aktivieren oder die Sitze einstellen. Diese sind vor der nächsten Fahrt übrigens wieder in eine neutrale Ausgangsposition zu rücken. Zusätzlich hat sie Krümel, Fingerabdrücke und andere Gebrauchsspuren zu entfernen. Ferner heißt es Lüfter ausrichten, Wasser auffüllen, Heizung auf eine mittlere Stufe regulieren und den Innenraum vorwärmen oder kühlen – kurzum: Das Fahrzeug sollte vor jeder Fahrt einladend und wie neu erscheinen. "Wer möchte schon in einem Hotelzimmer absteigen, in dem man Haare oder benutztes Geschirr des Vorgängers findet?", untermauert Andi die Akribie dieser Vorbereitungen.
Das Öffnen der Türen folgt einer klaren Choreografie
Das Öffnen der Türen folgt einer klaren Choreografie: Die hinteren Türen sollen in einer einzigen, fließenden Bewegung aufschwingen. Und zwar vollständig. Was banal klingt, entpuppt sich im ersten Versuch als echte Herausforderung. Es dauert eine Weile, bis ich den korrekten Abstand zum Türgriff finde, der es mir ermöglicht, die Tür aus dem Stand heraus am gestreckten Arm mit einem rückwärtigen Ausfallschritt an mich heranzuziehen und das Aufschwingen des Türblatts schließlich durch das Anwinkeln des Armes zu vollenden – jedoch ohne mir die Tür dabei selbst vor die Brust zu hauen. Gar nicht so einfach.

Doch das war erst der Auftakt für das ungleich komplexere Szenario, in dem die Person am Steuer vor allem seine weiblichen Fahrgäste beim Aussteigen aus dem Fond vor unangemessenen Blicken – etwa der Paparazzi – "abschirmt": vordere Tür öffnen, Schirm entnehmen und entfalten, hintere Tür öffnen, rücklings zwischen die Türflügel treten, dabei den Schirm mit der zur Fondtür gewandten Seite halten und die Lücke verdecken. Die freie Hand nach hinten reichen und die Hand der Dame greifen. Auf ein verabredetes Signal hin (zweimal mit dem Daumen drücken) steigt sie aus, und man bewegt sich synchron dazu mit dem Schirm nach vorn, bis die Dame sich hinter ihm aufgerichtet hat. Zur Seite treten, Schirm – und gegebenenfalls die Tür – schließen, damit die Bilder der umringenden Kameras einen neutralen Hintergrund einfangen und ihren Blick nicht ins Fahrzeuginnere richten.
Jetzt folgt die Praxis: stilecht am Steuer eines aktuellen Phantom VIII
Nach all dem Input und Hintergrundwissen heißt es nun, das Gelernte anzuwenden und die fahrerischen Qualitäten zu optimieren. Dazu steht vor der Tür ein Rolls-Royce Phantom der achten Generation bereit. Herrlich, nein herrschaftlich. Noch während die Fotografin sich mit der PR-Managerin über den weiteren Ablauf verständigt, lasse ich den Motor an, damit die Heizung den Innenraum vorwärmt. Unser Trainer hat das Auto selbstverständlich schon so abgestellt, dass wir sofort losfahren könnten. "Die Fahrt in einem Rolls-Royce sollte nie rückwärts beginnen", meint Andi. Das sei nicht nur sicherer, sondern wirke auch souveräner.

Ich verstaue das Gepäck, öffne den Damen die Tür und nehme hinterm Volant Platz. Andi sitzt neben mir und kommentiert meine Aktionen. Das Anfahren gelingt so sanft und geschmeidig, wie man es von einer solchen Limousine erwartet. "Fährt der elektrisch?", wird Andi oft gefragt, so leise schnurrt der mächtige V12 los. Gleich hinter dem Werkstor in Goodwood rollen wir auf einen Kreisverkehr zu. Ich nehme behutsam den Fuß vom Gas und stelle fest: Für eine makellose Bremsung ist es längst zu spät. Der Rolls-Royce gleitet majestätisch weiter, die Bremswirkung des Motors ist minimal. Also muss ich beherzt bremsen, die Damen im Fond nicken ergeben. Doch daran gewöhne ich mich schnell.
Andi gibt mir den Tipp, sehr frühzeitig, aber zunächst nur ganz sachte zu bremsen, damit die Beläge Temperatur aufbauen. Umso besser lässt sich die Verzögerung im Anschluss dosieren. Stimmt.
Bremsen aus dem Fußgelenk, vorausschauendes Fahren und das richtige Lenken
Außerdem rät er mir, die Sitzfläche flacher zu stellen, damit die Bremsbewegung mehr "aus dem Fußgelenk" kommt und weniger mit dem Bein ausgeführt wird. Aha. Die Güte einer Bremsung wird in Chauffeurskreisen übrigens in Getränken bemessen: Ist sie gerade noch sanft genug, dass der Whiskey nicht aus den Tiefen seines Tumblers spritzt, oder so feinfühlig und gleichmäßig, dass selbst Champagner nicht über die flachen Ränder seiner Schale schwappt? Wir üben das Anhalten ohne "Uber-Nicken" und ich lerne, dass man die Bremse als Chauffeur:in stets genauso sanft löst, wie man sie zuvor betätigt hat. Blick- und Linienführung in Kurven sowie die Koordination von Lenk-, Gas- und Bremsmanövern folgen denselben physikalischen Prinzipien wie auf der Rennpiste.
Klar eigentlich. Es geht um die bewusste Verlagerung von Lasten, um präzises Timing und nahtlose Übergänge. Ein:e Chauffeur:in muss nicht zwingend langsam fahren, aber extrem weit vorausschauend. Und leise! Deshalb sind Ledersohlen eine gute Wahl: Sie quietschen nicht auf den Pedalen. Das Lenkrad durch die Hände laufen zu lassen, ist tabu, da das dabei verursachte Geräusch an Bord des Phantom zu präsent wäre. Also umgreifen, aber nicht hektisch, sondern ruhig und präzise. Bei einem Stopp an einer Abzweigung rät Andi dazu, die Lenkung erst einzuschlagen, nachdem das Auto wieder angerollt ist: "So wirkt die Beschleunigungskraft erst nach vorn und nicht zur Seite." Das sei angenehmer, weil man dabei von den Sitzlehnen gestützt würde. Logisch.

Auf der Straße muss man stets Distanz zu anderen Fahrzeugen zu wahren. Das schafft den nötigen Platz für eine gleichmäßige Fahrt und minimiert erzwungene Reaktionen auf das (Fehl-)Verhalten anderer. Genug Abstand bewahrt die Fahrgäste auch vor neugierigen Blicken und schützt vor Auffahrunfällen. Zudem sichert der Freiraum ums Auto im Notfall eine sofortige Flucht aus Gefahrensituationen, selbst im Kolonnenverkehr. "Sicherheit passiert nicht einfach, sie entsteht als Summe vieler Details", lautet Andis Überzeugung. Das motiviert sein Streben nach Perfektion.