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Im VW Brasilia nach Brasilien – ein Fahrbericht auf Umwegen

Tim Neumann Redakteur

Brasilien liegt näher, als man denkt. Von Hamburg ist es gar nicht so weit. Wie passend, dass es auch einen VW Brasilia in den kühlen Norden verschlagen hat. 

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Inhalt
  1. Im VW Brasilia nach Brasilien? Kurz vor Kalifornien rechts ab!
  2. VW do Brasil: In Brasilien entsteht eine automobile Parallelwelt
  3. Mit boxerndem Käfermotor weiter nach Norden
  4. Keine Servolenkung führt zu reichlich Kurbelei
  5. Heißer Tee und dicke Jacken machen Brasilien erträglich
  6. Technische Daten des VW Brasilia

Brasilien ist bekannt für Fußball, Karneval, Samba, süffige Cocktails, Kaffee, riesige tropische Wälder und – zumindest unter Menschen mit Benzin im Blut – als automobiles Paralleluniversum, aus dem in der Vergangenheit immer wieder kuriose Volkswagen purzelten. Ob Kombi, ein Bus irgendwo zwischen T1 und T2, die Polo-Golf-Mixtur namens Gol, die Sportwagen Puma und SP2 oder der Mini-Nasenbär Brasilia – den VW-Entwicklern in Sao Paulo gelang es immer wieder, aus zweitverwertetem Design und bewährten Motoren eigenständige Modelle für den heimischen Markt zu kreuzen. Manche von ihnen fanden sogar ihren Weg in den Norden Deutschlands. Dorthin, wo es ein zweites, viel kleineres Brasilien gibt. Schauen wir mal, wie da der Caipirinha schmeckt.
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Der VW ID.7 GTX Tourer (2024) im Fahrbericht (Video):

 
 

Im VW Brasilia nach Brasilien? Kurz vor Kalifornien rechts ab!

Brasilien liegt an der Ostsee irgendwo hinter Kiel, der Nachbarort heißt Kalifornien. Die kleine Siedlung besteht hauptsächlich aus Ferienhäusern, soll aber auch dauerhaft 19 Einwohner:innen beherbergen. Unsere Reise führt uns aus der Hansestadt hinaus, vorbei an Bad Segeberg und Kiel bis in den Kreis Plön, bis wir schlussendlich an der deutschen Copacabana landen. Aber der Reihe nach. 9.30 Uhr, Speicherstadt Hamburg: Die Wolken hängen noch tief, als wir uns mit Besitzer Kay Nienstedt und Frau Doris an der Elbphilharmonie treffen. Die Fahrt an die Ostsee ist kein großes Ding für die beiden, im vergangenen Jahr haben sie im VW Brasilia eine Südamerika-Tour absolviert, mehr als pannenfreie 15.000 km quer über den Kontinent. Als sie in Kolumbien ihr Ziel erreicht hatten, entschlossen sie sich, den kleinen Kombinationskraftwagen nach Deutschland zu verschiffen. "Als Gag", erklärt Kay Nienstedt, "das Auto kennt hier ja niemand."

Per Einzelabnahme ging der Wagen durch den TÜV und fand sich in einer Hamburger Garage wieder. Viel vom Land seiner Ahnen hat er noch nicht gesehen. Unser erstes Etappenziel ist der Kalkberg in Bad Segeberg, seit mehr als 60 Jahren Austragungsort der Karl-May-Festspiele und Symbol des deutschen Fernwehs. Kurz bevor Winnetou erstmals durch Schleswig- Holstein ritt, begann die Erfolgsgeschichte der brasilianischen VW Dependance.

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VW do Brasil: In Brasilien entsteht eine automobile Parallelwelt

Nachdem 1953 die ersten Käfer und T1-Transporter von einer brasilianischen Firma in Lizenz gebaut worden waren, entstand in Wolfsburg die Idee, ein eigenes Werk in Sao Paulo zu errichten. Die kleinen VW waren viel wirtschaftlicher und praktischer als die seinerzeit allgegenwärtigen amerikanischen Straßenkreuzer und verkauften sich prächtig. Ende der 1950er-Jahre regulierte die brasilianische Regierung die Autoimporte, sodass sich VW do Brasil recht erfolgreich entwickeln konnte.

So kamen dort VW-Modelle auf den Markt, die robuster und anspruchsloser auftraten als ihre deutschen Kollegen. Der Preis des Erfolgs blieb in Deutschland lange unbekannt: Brasilianische VW-Mitarbeiter:innen halfen der brasilianischen Militärdiktatur, Regimegegner zu verfolgen. Manche von ihnen führte die Geheimpolizei vom Werksgelände ab und fuhr sie direkt ins Gefängnis. Auch das gehört zur Geschichte des Brasilia. Der hat jetzt den Kalkberg erreicht, an dem es aussieht wie im Mittleren Westen der USA. Holzpalisaden, Westernbars, zwei Marterpfähle vor den Toren. Dahinter proben die Schauspieler den Karl-May-Klassiker "Unter Geiern" – ständig knallen Platzpatronen. Schön exotisch, dieser altbundesrepublikanische Sehnsuchtsort, auch ein bisschen skurril, aber Brasilien ist das noch nicht.

VW Brasilia
Foto: Thomas Starck
 

Mit boxerndem Käfermotor weiter nach Norden

Weiter, Richtung Kiel. Der wüstengelbe Brasilia boxert gemütlich in Richtung Norden. Er klingt so sehr nach Käfer, dass sich die Passant:innen umdrehen – nur um dann mit diesem automobilen Fremdkörper konfrontiert zu sein. Von vorne scheint der Brasilia ein Bruder des tragischen VW 412 zu sein, dahinter aber fällt seine Karosserie deutlich kantiger und kürzer aus, ganz so, als hätten sie in Wolfsburg den Nasenbären zum Prototypen der Golf-Klasse eingedampft. Aber natürlich sitzt im Heck kein Typ-4-Flachmotor, sondern eine 1,6 l große Käfer-Maschine.

Eine Art Golf-Vorbote ist der Brasilia aber schon, denn sein geistiger Vater war kein Geringerer als der spätere VW-Chef Rudolf Leiding. Bevor er den Siegeszug von Golf, Scirocco, Polo & Co einleitete, führte er die Geschicke von VW do Brasil. Auch in Südamerika war der Käfer mittlerweile sichtlich gealtert und sollte dem Ruhestand entgegenrollen. Gleichzeitig arbeitete General Motors an einem neuen Billigauto-Konzept für Brasilien. Leiding brauchte also schnell ein neues Modell. Er hielt am Käfer-Konzept fest, verlangte aber eine übersichtliche Karosserie und deutlich mehr Platz. Der Brasilia war geboren. 13 Uhr, Kiel. Wir nähern uns der Ostsee und merken es an der kühlen Brise. Strandwetter ist das jedenfalls nicht. Der Brasilia quält sich durch den zähen Verkehrsfluss, vorbei an ein paar blassen Siedlungen der östlichen Hafenseite, bis der Sandkrugbunker erreicht ist.

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Keine Servolenkung führt zu reichlich Kurbelei

Streetart-Künstler verpassten dem ehemaligen Flakbunker aus dem Zweiten Weltkrieg 2017 einen spektakulären Neuanstrich. Der farbenfrohe Sonnenuntergang am Meer will so gar nicht zu den riesigen Fähren im grauen Industriehafen von Kiel passen. Die letzten Kilometer nach Brasilien führen über leere Landstraßen. Wir können uns jetzt wieder unterhalten, ohne die Stimme zu erheben. Schon das brasilianische Fachmagazin "Quatro Rodas" schrieb in den Siebzigern, dass "der Motor im Innenraum wie ein Mixer klingt und einfache Dialoge in kollektives Geschrei verwandelt". Tatsächlich hielten sie eine Dämmung des Motorraums bei VW do Brasil für überbewertet.

Kurioserweise hat ein brasilianischer Vorbesitzer ein modernes Radio nachgerüstet, was sich Brasilia-Besitzer Kay Nienstedt nicht wirklich erklären kann: "Nur Bass auf höchster Stufe sorgt bei diesem Lärmpegel für Abwechslung", hat er herausgefunden. So kantig, wie der VW Brasilia aussieht, fährt er sich auch: Eine Servolenkung gibts nicht, am dünnen Vierspeichen-Lenkrad muss redlich gekurbelt werden. Der Griff nach dem tiefliegenden Schaltknüppel ginge als gymnastische Übung durch. Das heftige Nachschwingen der Federung ist wohl eher dem Verschleiß geschuldet als der Serienabstimmung.

 

Heißer Tee und dicke Jacken machen Brasilien erträglich

14:30 Uhr, Brasilien. Es gibt sogar ein gelbes Ortsschild, und auch sonst ist das Ziel unserer Sehnsucht durch und durch deutsch: Für Autofotos am Strand erteilt die Gemeindeverwaltung keine Genehmigung, auch nicht ausnahmsweise – aus Umweltschutzgründen. Vor das Toilettenhäuschen an der Düne stellen wir uns aber trotzdem, immerhin hat hier jemand die brasilianische Flagge auf die Fassade gepinselt. Und ein freundlicher Brasilianer erzählt uns mit norddeutschem Akzent, wie es zum Ortsnamen kam: Ein Fischer fand vor Urzeiten eine Schiffsplanke mit der Aufschrift "California" am Strand und nagelte sie über die Tür seines Hauses. Das inspirierte einen Nachbarn, der bei sich das selbstgemachte Schild "Brasilien" aufhängte. Als daraus die beiden Dörfer entstanden, blieb es dabei.

Es ist kalt in diesem Brasilien, bis auf ein paar schmerzfreie Reisemobilist:innen ist der Ort wie ausgestorben. Nur die verriegelten Sonnenschirme und Gefriertruhen zeigen, dass die kleine Siedlung ihrem Namen gerecht werden kann. Wir lauschen dem Tickern des auskühlenden Boxers, trinken heißen Tee, wickeln uns tief in unsere Jacken und stellen uns die Copacabana bei 35 Grad im Schatten vor. Übrigens: Der Brasilia war durchaus ein Erfolgsauto. Über eine Million Mal hat ihn VW in neun Jahren verkauft, doch am Ende überlebte ihn der etwas günstigere Käfer. Erst der Gol mit Frontmotor läutete ab 1981 eine neue Ära der brasilianischen VW-Geschichte ein.

VW Brasilia
Foto: Thomas Starck
 

Technische Daten des VW Brasilia

Classic Cars 8/2019VW Brasilia
Zylinder/Ventile pro Zylin.4 / 2
Hubraum1584 cm³
Leistung40 kW / 54 PS bei 4200 /min
Max. Gesamtdrehmoment bei106 Nm bei 3000/min
Getriebe/Antrieb4-Gang / Hinterrad
L/B/H4015 / 1605 / 1430 mm
Leergewicht890 kg
Bauzeit1973 – 1982
Stückzahl1.130.000
Beschleunigung
null auf 100 km/h
18,0 s
Höchstgeschwindigkeit138 km/h
Verbrauch auf 100 km9,1 l
Grundpreis (Jahr)56.716 Cruzeiro (1977)

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