Auslaufmodelle Schaltgetriebe: Unser Pro & Contra im Kommentar
Die Handschaltung polarisiert: Für die einen ist sie nostalgischer Quell echter Fahrfreude, für die anderen überholte Technik in einer zunehmend automatisierten Verkehrswelt. Zwei Stimmen, zwei Sichtweisen – und eine Frage: Hat manuelles Schalten noch Zukunft?

Johannes Riegsinger, Autor: "Ist manuelles Schalten nicht überwiegend pure Banalität?"
"Neulich unterwegs im Porsche 911 S/T, zwölf Stunden, 1000 wilde Kilometer zwischen Südfrankreich und Zuffenhausen ... Es war wunderschön, vor allem weil das Getriebe des 911 S/T umwerfenden Erlebnischarakter hat: staubtrocken einrückende, schnarrende Kupplung, singende Zahnräder, knochig-präzises Rasten, samtige Reibung beim Führen des ultrakurzen Schalthebels durch die Gassen …
Nach betrübter Rückgabe des Testwagens im Porsche-Hauptquartier habe ich mich erst einmal auf den einschlägigen Gebrauchtwagen-Portalen herumgetrieben mit der Sucheinstellung "Getriebe: Handschaltung" – und wurde dabei zunehmend nüchtern. Ich mache meinen Job seit 1999 und bin einen Großteil der neuen Automodelle dieser Jahrzehnte gefahren, inklusive vieler Klassiker bis in die 1930er-Jahre zurück. Vor diesem einigermaßen fundierten Hintergrund wage ich die Behauptung, dass manuelles Schalten in den überwiegenden Fällen pure Banalität ist. Die wirklich tollen Handschalter unter allen von mir gefahrenen Autos kann ich an zehn Fingern abzählen.
Rituelles Handschalten im Sportfahrer-Tempel
Und noch etwas: Im Lauf dieser Zeit ist der Verkehr überall so dicht geworden, dass manuelles Schalten eher lästig als lustvoll ist. Hinzu kommt, dass sportliches Autofahren – jenem Tempel, in dem die Handschalterei zum rituellen Akt wird – längst nicht mehr den Status früherer Zeiten hat: Trödelnde Vordermänner, stattliche Spritpreise, öffentlicher Widerwille gegen "Raser:innen" und das allgemeine Älter- und Ruhiger-Werden der Generation Oktan (Sie und ich ...) haben dazu geführt, dass ehemals heiße Reifen heute kühl bleiben.
Selbst das alte Argument, Automatik-Getriebe würden Sprit schlucken, ist längst falsch: Nur sehr konzentrierte Sparfüchse schaffen gegen heutige Automatik-Getriebe höchstenfalls einen Verbrauchs-Gleichstand – oder auch nicht. Mit dem Aufkommen des E-Autos ist eh Schluss mit Schalten. Solange mir Porsche also kein unverschämt gutes Angebot für einen 911 S/T macht, wird mein nächstes Auto eine Automatik haben. Traurig, aber wahr. Und irgendwie auch okay. Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist."
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Von der AUTO ZEITUNG getestet und empfohlen:
Marcel Kühler, Testredakteur: "Handarbeit bereitet Freude und ist ein Sicherheitszugewinn!"
"Wer mit halbwegs offenen Augen durch unseren dichten Straßenverkehr rollt, wird es bereits bemerkt haben: Die Menschen an den Steuern vorrangig moderner Autos werden immer unaufmerksamer. An der Ampel wird am großen Display die Klimatisierung angepasst oder ein weniger nervender Radiosender eingestellt. Häufig genug schauen gerade jüngere Mit-Verkehrsteilnehmenden kurz aufs Handy, etwa um so lebenswichtige Dinge zu checken, ob Schatzi eventuell schon die Einkaufsliste fürs Abendbrot gewhatsappt hat – und natürlich wird dann direkt eine Antwort getippt.
In dieser Gemengelage springt die Ampel um, was aus den Augenwinkeln vom reichlich abgelenkten Personen am Steuer gerade noch wahrgenommen wird. Intuitiv löst sie die Bremse und fährt einfach los. Dabei übersieht sie im Eifer aber, dass die Person vor ihr deutlich langsamer aus dem Startblock gerollt ist. Die Folge im schlimmsten Fall: ein dummer Auffahrunfall, der langwierige Rechtsstreitigkeiten nach sich zieht, weil niemand die Schuld auf sich nehmen will aus Angst vor erhöhten Versicherungskosten. Ich behaupte: Viele dieser ärgerlichen Situationen entstehen gar nicht erst, wenn ein Handschalter im Spiel ist. Warum? Das Einlegen des Gangs, das sanfte Einkuppeln und schließlich das flüssige Losfahren erfordern viel mehr Aufmerksamkeit, was den Fokus naturgemäß weg vom Display hin auf die Straße beziehungsweise das Verkehrsgeschehen lenkt.
Außerdem ist da noch die Sache mit der Fahrfreude
Eine leere Landstraße mit engen Kurven. Der Motor brummt zufrieden – lenken, bremsen und dann: Kupplung treten, etwas Zwischengas, Schalthebel bedienen, einkuppeln, wieder auf Gas – die perfekte Choreografie für ungetrübten Fahrspaß (Die No-Go's beim Handschalter). Pur. Analog. Im Einklang mit der Maschine. Ich habe dieses tiefe Gefühl der Zufriedenheit, das sich beim bewussten Autofahren einstellt, jedenfalls in noch keinem Automatik-Fahrzeug erlebt. Und selbst in Doppelkupplern, in denen ich übrigens aus Prinzip die Gänge stets manuell wähle, fehlt mir immer etwas die organische Verbindung zum Auto. Handschalten ist ein Relikt vergangener Tage? Nein, es ist sowohl Lustgewinn als auch Aufmerksamkeitsgarant und somit sicherheitsfördernd!"