Mercedes 450 SEL 6.9 Station Wagon: So fährt sich der V8-Umbau
- Ein Kombi für höchste Ansprüche: Mercedes 450 SEL 6.9 Station Wagon
- Verlängertes Dach, versenkbare Scheiben: Der Umbau jenseits der B-Säule
- Ein exklusives Einzelstück mit spannender Geschichte
- Zugfahrzeug mit Seltenheitswert: Rückkehr nach Europa
- Technische Daten Mercedes 450 SEL 6.9 Station Wagon
- Fazit
Etwas anderes als das "beste Auto der Welt" kam für den Inhaber einer Metallwarenfabrik nahe Stuttgart nicht infrage. Und das war von 1975 an der Mercedes-Benz 450 SEL 6.9 mit dem ursprünglich aus dem Mercedes 600 stammenden V8 (M100). Um mit seinen Hunden zur Jagd zu fahren, hätte es vielleicht auch ein VW Bulli getan – aber warum eigentlich, wenn man doch ein nobleres Nutzmobil bei einer Spezialfirma ordern konnte?
Mercedes überließ das Geschäft mit Kombiausführungen, Pick-ups, Stretchlimos oder Bestattungswagen traditionell vertrauenswürdigen freien Karossiers. Neben Binz, Miesen oder Stolle zählte die von dem schwäbischen Autonarren beauftragte Firma Pollmann in Bremen zu diesem erlauchten Kreis. Anfang 1977 baute sie ihm über mehrere Monate hinweg seinen Traumkombi auf. Ob zuvor der britische Karossier Crawford kontaktiert wurde, der einen ähnlich gestrickten SEL-Kombi herstellte?
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Ein Kombi für höchste Ansprüche: Mercedes 450 SEL 6.9 Station Wagon
Basis für den langen Eil-Transporter war die Spitzenversion der S-Klasse-Baureihe W116 mit dem relativ niedrig verdichteten 6,9-l-V8. Das Triebwerk harmoniert bestens mit einer entsprechend ausgelegten Dreistufen-Automatik. Wegen eines Bauraumproblems, das keine Ölwanne erlaubte, verfügt der Wagen über eine sonst für Sportwagen typische Trockensumpfschmierung.
Das beeindruckende Drehmoment von maximal 550 Nm ist noch heute ein guter Wert für starke Autos. Wie Durchzug satt funktioniert, belegen die Messwerte: Zwischen 1000 und 4200 Touren fällt die Zugkraft nicht unter 490 Nm. Die Werksangabe versprach 225 km/h Spitze und einen Spurt von null auf 100 km/h in 7,4 s. Tatsächlich erreicht die hochgepowerte S-Klasse sogar noch bessere Werte. Dabei genehmigt sich der großvolumige V8 aber mindestens 20 l auf 100 km.
Eine gute Sache ist die automatische Niveauregulierung über die damals neuartige Hydropneumatik, die dem auf Pneus der Größe 215/70 R 14 rollenden Auto selbst in sehr schnellen Kurven zu einer beeindruckenden Stabilität verhilft. Die Federung ist eher soft, zudem lässt sich die Karosserie auf schlechter Piste um vier Zentimeter höher legen.
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Verlängertes Dach, versenkbare Scheiben: Der Umbau jenseits der B-Säule
Die größten Änderungen beim Pollmann-Umbau beginnen jenseits der B-Säulen. Das Dach musste verlängert werden, wobei aber hinter dem Schiebedach eine Stufe – darauf aufgesetzt waren zwei Antennen für das damals noch exotische Autotelefon – entstand. Ein separates vergittertes Hundeabteil füllte die neugeschaffene Heckpartie, weil der automobile Gourmet etwas Abstand zu seinen Tieren halten wollte: In seinen bisherigen Limousinen hatten sie ihn wohl zu oft von der Rückbank aus mit ihren Schlabberzungen liebkost.
Zusätzliche Sitzplätze im Heck: Rückwärts in der S-Klasse
Nach dem Entfernen der Schutzgitter entstand hinten ein zusätzlicher Passagierraum. Um dort hineinzugelangen, muss eine hohe Ladekante überwunden werden – und darum gibt es auf dem hinteren Stoßfänger eine unschöne Trittstufe. Die Heckklappe reicht übrigens nicht so weit hinunter wie beim T-Modell der Baureihe S123 (das erst 1978 in Produktion ging). Viel Platz ist allerdings nicht vorhanden auf der mit Kopfstützen versehenen, gegen die Fahrtrichtung fest eingebauten Zweier-Sitzbank. Und etwas unharmonisch wirken die breiten C-Säulen. Dafür lassen sich die hinteren Seitenscheiben versenken.
Statt der serienmäßigen Velourspolster bestellte der wählerische Kunde eine Vollleder-Ausstattung. Die Scheinwerferreinigungsanlage gehörte zum Serienumfang, als Extras geordert wurden abgedunkelte Scheiben, Zweizonen-Klimaanlage, besagtes elektrisches Schiebedach sowie eine Stereoanlage und – wie erwähnt – das 18.000 Mark teure Autotelefon. Dem typisch schwäbischen Understatement entsprechend wurde statt des 6.9er-Schriftzugs hinten die sozialverträglichere Bezeichnung 280 SE angebracht.

Ein exklusives Einzelstück mit spannender Geschichte
110.000 Mark berechnete Pollmann dem Unternehmer für den vermutlich einzigen derart aufgebauten 6.9er-Kombi, wobei die Limousine bereits mit 69.930 Mark in der Liste stand. Gerüchteweise soll ein zweiter Siebensitzer mit dem großen V8 an Sophia Loren gegangen sein. Daneben entstanden definitiv noch zwei Kombiwagen auf Basis des langen W116 380 für unbekannt gebliebene Kund:innen
Der schokoladenbraune Großraumkombi ging bereits 1978 nach nur 25.000 km zurück an den Stuttgarter Händler Merz & Pabst. 1984 gelangte er mit nunmehr 74.000 km auf der Uhr für sehr faire 17.500 Dollar in die USA, zuerst nach Texas. Fünf Jahre später übernahm John R. Olson in Minneapolis in Minnesota das "Doghouse". Er beschäftigte sich intensiv mit der Fahrzeughistorie – und setzte sich mit dem Designer des Mercedes 600 (W100) und des W108, Paul Bracq, in Verbindung. Der begutachtete den Wagen anlässlich eines M100-Clubtreffens in St. Louis und fertigte für Olson einige Skizzen für einen modifizierten Kombi in Zweiton-Lackierung.
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Zugfahrzeug mit Seltenheitswert: Rückkehr nach Europa
Der Amerikaner nutzte den ungewöhnlichen Wagen als Zugfahrzeug für andere Mercedes-Preziosen. Passenderweise montierte er das alte Kennzeichen ab und ersetzte es durch die Buchstabenkombination TOW CAR – Zugfahrzeug. Die Anhängelast des Kombis lag offiziell bei 1200 kg, gezogen wurden – das zeigen Fotos aus jener Zeit – aber auch weit schwerere Automobile.
Wäre er in den USA geblieben, hätte der seinerzeit "schnellste Kombinationskraftwagen der Welt" vermutlich kaum für einen Fahrbericht für Classic Cars zur Verfügung gestanden – aufgrund schlichter Unkenntnis von seiner Existenz. Aber der SEL 6.9 Station Wagon (Mercedes-intern würde er wohl SV116 heißen) kehrte Ende der 2000er-Jahre zurück nach Europa. Heute gehört das mittlerweile zum Siebensitzer zurückgerüstete Fahrzeug zur gut ausgestatteten Sammlung des PS Speichers in Einbeck.

Technische Daten Mercedes 450 SEL 6.9 Station Wagon
Classic Cars 03/2019 | Mercedes 450 SEL 6.9 Station Wagon |
Zylinder/Ventile pro Zylin. | 8/2 |
Hubraum | 6834 cm³ |
Leistung | 210 kW/286 PS |
Max. Gesamtdrehmoment bei | 550 Nm bei 3000/min |
Getriebe/Antrieb | 3-Stufen-Automatik/Hinterrad |
L/B/H | 5060/1870/1410 mm |
Leergewicht | 1935 kg |
Bauzeit | 1975–1980 (Kombi: 1977) |
Stückzahl | 7390 (alle 6.9) |
Beschleunigung null auf 100 km/h | 7,4 s |
Höchstgeschwindigkeit | 225 km/h |
Verbrauch auf 100 km | 15,5 l S |
Grundpreis (Jahr) | 110.000 Mark (Umbau inkl. Basisfahrzeug, 1977) |
Unglaublich, wie fahraktiv und sicher sich das geradezu riesige Auto bewegen lässt. Zumindest bei der Performance merkt man ihm seine mittlerweile 42 Jahre kaum an. Mehr ging seinerzeit wirklich nicht. Respekt vor dem 2008 in Insolvenz gegangenen Bremer Karossier, der das von Mercedes zuvor geprüfte und dann verworfene Konzept eines siebensitzigen Großkombis umsetzte. Schwächen wie den beschwerlichen Zugang ins Heck nehmen wir billigend in Kauf.