Ford Mustang Giugiaro (2007): So fährt sich das Designer-Unikat
Wenn Alberto vollmundig von Italien schwärmt, knistert es in den Räumen seiner Pizzeria. Der Kalifornier liebt die Heimat seiner Eltern über alles. Nur die italienische Pizza ist ihm zu dünn, sie sättige nicht richtig. Deshalb backt Alberto seinen Gästen eine amerikanische Pizza mit mächtigem Fundament und imposanter Auflage im Triple-X-Format. Guten Appetit! Amerikanische Pizzen und amerikanische Sportwagen – bei beiden scheint die Kundschaft meist die maximale Sättigung vor den Genuss zu stellen. Deshalb mangelt es US-Sportwagen selten an kraftvollen Triebwerken, aber oft an Grazie.
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Diesen Gegensatz soll ein Projekt aufheben, das Fabrizio Giugiaro, Spross der Design-Dynastie Italdesign in Montcalieri bei Turin, erstmals Ende 2006 zur Automobilmesse von Los Angeles zeigte: die Automobil-Ikone Ford Mustang in feinem italienischen Tuch. Doch die Giugiaros (Giorgetto Giugiaro im Porträt) wären nicht so erfolgreich, wenn ihr Bemühen nur um formale Schönheit kreiste. Insbesondere Fabrizio, der Sohn des Firmengründers, legt großen Wert darauf, Fahrdynamik und Handling seiner Autos auch der Qualität seiner italienischen Formensprache anzupassen. Deshalb trampelt der Ford Mustang by Giugiaro nicht mit gestrafften Gesichtszügen und ungehobelter US-Technik ins automobile Leben, sondern ist auch technisch feiner abgeschmeckt als das Original – einmal abgesehen vom Triebwerk.
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Dank Kompressor klettert die Leistung im Ford Mustang Giugiaro von 300 auf 500 PS
Rau kratzend und ohne Rücksicht auf empfindsame Ohren der Anwohnerschaft, schüttelt der Amerikaner seine Glieder und erwacht zum Leben. Der Amerikaner, das ist das mächtige 4,6-l-V8-Triebwerk des Ford Mustang GT, von einem heiser jaulenden Kompressor (So funktioniert ein Kompressor) beatmet und mit vollmundig wummerndem Sound über eine Doppelauspuffanlage entlüftet. Satte 500 PS (368 kW) verspricht das Entwicklerteam des Kraftpakets der Kundschaft. Sie betreiben Ford Racing, eine werkseigene Tuning-Abteilung, die ihre Dienste in Katalogen mit Umfängen eines New Yorker Telefonbuchs anpreisen.
Der Motor ist weitgehend baugleich mit dem Triebwerk des Mustang-FR500-Racer aus der US-Rennserie "Grand Am-Challenge". Die Shelby-Version des Ford Mustang GT verfügt ebenfalls über einen solchen Motor. In Giugiaros Einzelstück thront ein voluminöser Whipple-Kompressor im Gehäuse aus gebürstetem Aluminium zwischen dem V der acht Zylinder. Er ist so appetitlich angerichtet, dass man verführt ist, auf ihm Hot Dogs zu grillen. Mit unüberhörbarer Präsenz setzt er die acht Verbrennungsräume unter Druck. Und steigert so die Serienleistung von 300 PS (221 kW) um nochmals 200, um bei großem Leistungshunger ein Gefühl von Sättigung zu verschaffen.
Die Konkurrenten:
Muskulöse Proportionen, effektheischendes Glasdach
Oft sind dies Fans eines US-Volkssports, den man drüben gern an Ampelkreuzungen betreibt. Mit dem Umspringen auf Grün fällt der Gasfuß, um möglichst viel Gummi auf den Asphalt zu brennen. Dieser bleibt als Dokument der persönlichen Schnellkraft zurück, die den Sprinterkönig oder die -königin des Augenblicks kürt. So viel Spurtstärke verlangt nach einer kurz übersetzten Schaltbox. Ford Racing verbaut sie als Fünfgang-Handschaltgetriebe mit geschmeidig führbarem Stick, den Giugiaro als verchromtes, massives Pleuel ausbildet. Die Sportkupplung dagegen ist kraftzehrend, die zum Tuning-Paket gehörenden Stabilisatoren sind unerlässlich, und die Feinabstimmung des Fahrwerks bedarf für Menschen mit sensibler Wirbelsäule der Nachbesserung.

Giugiaro versteht das Technikpaket als Grundversorgung der würdigen Fortbewegung für ein viersitziges Coupé, das amerikanischer kaum sein könnte. Um genau dieses Flair zu wahren, ist das Giugiaro-Design bemüht. Auf serienmäßiger Bodengruppe fährt der Ford Mustang by Giugiaro mit hinten 75 mm breiterer Spur vor und bleibt in der Karosserielänge 1150 mm unter der des Originals. Allein sein Fondüberhang misst 80 mm weniger. Seine dermaßen betonte Hecklastigkeit und mithin länger wirkende Motorhaube führt zu kraftvolleren Karosserie-Proportionen, und das schwungvoll aufgespannte Glasdach suggeriert den Personen an Bord ein sehr luftiges Raumkonzept. Das Dach ist dem Hersteller Solutia nach vollkommen undurchlässig für schädliche UVA-Strahlen und endet knapp vor der scharfen Heckabrisskante.
Hart und eigenwillig: Ritt auf dem Designer-Mustang
Im Interieur prägt schwülstiger Wildwest-Stil eine Art US-Barock. Stellenweise abgewetzte Kuhhäute bekleiden die Schalensitze und verbreiten rauen Charme. Die hinteren zwei Sitze sind einzeln umklappbar und öffnen auf diese Weise den Zugang zum Kofferabteil mit stehendem Reserverad. Viel Glas spiegelt im Cockpit die 60er-Jahre wider, doch hinter ihrem Glanz wohnt innovative Technik. Gespeist durch die Weitsichtigkeit von vier Kameras, wird auf drei in Armaturenblenden integrierten Bildschirmen der rückwärtige Raum abgebildet: Drei Kameras übernehmen die Funktion der beiden Außen- und des Rückspiegels, die vierte über dem Mustang-Emblem im Heck schaltet sich beim Einlegen des Rückwärtsgangs zu.
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Der mit italienischem Charme kokettierende Muskelprotz sieht leichtfüßiger aus, als er sich in freier Wildbahn gebärdet. Lenkung? Okay. Der Mustang ist bemüht, den Wünschen zu folgen. Spurtreue? Es ist für ihn nicht einfach, Kurs zu halten und die fahrdynamischen Grenzen der Starrachse zu verleugnen. Auch der Kompressor-Motor tut sich schwer, seine 500 PS (368 kW) überzeugend zu vermitteln. Über 3000 Touren sollten es sein, um den Hengst gehorsam am Gas zu halten. Und so zeigt das Projekt Ford Mustang by Giugiaro mehr Potenzial als tatsächlich verfügbare Potenz. Vielleicht kam auch deswegen nie die ursprünglich angedachte Kleinserie. Seinen Reiz hätte der Ford Mustang by Giugiaro auf jeden Fall gehabt: ein Auto wie eine Pizza aus zwei Welten, mit mächtigem Fundament und filigraner Delikatessen-Auflage.
Von Jürgen Zöllter