Bridgestone-Chef Mühlhäuser: Interview "Kommunikation zwischen Straße und Auto"
Bridgestone-Boss Christian Mühlhäuser spricht im Interview mit der AUTO ZEITUNG über den Erfolg von Ganzjahresreifen, nachhaltige Produkte und zukünftige Geschäftsfelder.
Herr Mühlhäuser, sind Endverbraucher:innen tatsächlich "grüner" geworden oder das Marketing?
Viele Verbraucher sind ganz bewusste Verbraucher. Wir als Unternehmen sehen es keinesfalls als Marketing-Thema, sondern unser Anspruch ist es, nachhaltig zu wirtschaften. Dazu haben wir uns ganz konkrete Ziele gesetzt. Zum Beispiel die Reduzierung des CO2-Abdrucks bis 2030 um 50 Prozent. Das nächste Ziel ist die völlige CO2-Neutralität bis 2050. Das sind harte Ziele, die wir für uns definieren – unabhängig davon, ob der Verbraucher das sieht oder nicht. Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon
Was passiert beim Reifentest? (Video)
Bridgestone-Geschäftsführer Christian Mühlhäuser im AUTO ZEITUNG-Interview
Ganzjahresreifen haben sich zum Erfolgskonzept gemausert. Gibt es da noch Wachstum, oder ist der Markt gesättigt?
Was ich sehe, ist eine stark unterschiedliche Durchsetzung in einzelnen Regionen. Auf den dafür passenden Fahrzeugen und in den entsprechenden Einsatzgebieten haben sich Ganzjahresreifen etabliert. Aber in meiner Zuständigkeit für Zentraleuropa, mit saisonalen Märkten von Norwegen bis zur Schweiz, sehe ich klare regionale, winterbedingte Abhängigkeiten. Der Allwetterreifen bleibt ein Kompromiss. Es gibt Einsatzbereiche und Motorisierungen, bei denen diese Produkte einen guten Kompromiss darstellen. Doch es gibt eben auch Bereiche, in denen wir eindeutig sagen: Sommer- und Winterreifen sind die richtige technische Lösung.
Wäre es nicht sinnvoll, das Allseason-Sortiment weiter zu spezialisieren? Ähnlich wie bei Sommerreifen, bei denen es Profile mit unterschiedlichen Stärken in Performance, Effizienz und Komfort-Eigenschaften gibt?
Bei Ganzjahresreifen gibt's einen Bereich, in dem der Einsatz sinnvoll ist – sowie einen, in dem das nicht klappt. Das weitere Auffächern ist daher eher ein Punkt für den spezielleren Einsatz bei höheren Traglasten oder mit alternativen Motorisierungen. Aber natürlich nimmt die Anzahl der Dimensionen im Segment zu, um den Kundenbedarf abzudecken.
Der Audi e-tron war eines der ersten EV, das Bridgestone mit maßgeschneiderten Reifen ausgerüstet hat. Danach kam die Palette der ID.-Familie im VW-Konzern auf Turanza Eco. Was kommt als nächstes?
Zum Frühjahr 2023 kommt der neue Turanza 6, mit dem wir wieder ein Top-Produkt abliefern: Er bietet in seiner Klasse eine einzigartige Leistung auf nasser Fahrbahn, zudem eine überragende Laufleistung sowie eine verbesserte Kraftstoff- und Energieeffizienz. Beim neuen Turanza 6 kommen mit Techsyn und Enliten innovative Technologien zum Einsatz, die weitere Vorteile in Bezug auf Effizienz und Nachhaltigkeit eröffnen.
Der Reifen nutzt also durchweg Enliten-Technologie statt nur in den Eco-Versionen wie beim Vorgänger?
Ja. Wir müssen zwar noch schauen, ob wir die Kennzeichnung auf den Seitenwänden generell einheizen und wie wir Marketing-technisch damit umgehen. Aber Enliten ist ein weltweites Konzept, das sich letztendlich in allen Produkten widerspiegeln wird.
Woran erkennen Endverbraucher:innen dann, ob die Reifen über diese Technologie verfügen oder nicht?
Ein wichtiger Punkt. Wir müssen da jetzt einen Switch machen von der bisherigen Seitenwand-Kennzeichnung hin zum generellen Verständnis, dass Enliten eine Technik-Plattform für all unsere Produkte ist.
Wann sehen wir denn die ersten Enliten-Winterreifen?
Enliten ist unser weltweites Konzept für künftige Entwicklungen. Die nachhaltige Entwicklung – auch unter Verwendung virtueller Prototypen – sowie die Leichtbauweise bilden das Fundament unserer Nachhaltigkeitsstrategie.
2021 lag der Anteil von Reifen für E-Autos in der Erstausrüstung bei elf Prozent. Steigt dieser Wert?
Sogar exponentiell. Derzeit setzen wir bereits über 30 Prozent unserer Entwicklungsressourcen in der EMIA-Region bei der Umsetzung von Erstausrüstungs-Produkten allein für elektrisch angetriebene Fahrzeuge ein.
Welche Bereiche versprechen denn künftig noch weiteres Wachstum?
Wenn wir in die Zukunft schauen, dann sind Sensoren im Reifen sowie die Kommunikation mit dem Fahrzeug sicher ein großes Thema. Da liegen aus meiner Sicht noch Potenziale. Wir sind mit vielen Dingen, zum Beispiel der Software-Entwicklung, nah dran und auch schon in der Lage, wirklich relevante Informationen weiterzugeben und arbeiten intensiv mit den Herstellern zusammen. In der Kommunikation zwischen Straße, Reifen und Fahrzeug liegt künftig noch viel Potenzial. Hier werden relevante Ergebnisse erarbeitet, die für Verbraucher in puncto Sicherheit, Verbrauch und Fahrkomfort wesentlich sein werden.
Darum auch die Kooperation mit Microsoft?
Mithilfe digitaler und vernetzter Lösungen können wir datenbasierte vorausschauende Modelle entwickeln. Diese liefern uns Echtzeit-Updates über den Zustand und die Leistung der Reifen. Das ist für Hersteller besonders interessant, um eine maximale Effizienz ihrer Fahrzeuge zu erreichen – speziell im EV-Bereich. Das ist keine heiße Luft, sondern daran wird ganz intensiv gearbeitet.
Verdienen Sie mit den neuen Mobilitätsservices wie Webfleet bereits Geld?
Absolut. Mit Webfleet und jetzt auch Fleetcare bieten wir Flottenkunden alles aus einer Hand: langlebige Produkte, integriertes Reifen- und Service-Management.
Werden solche Geschäftsfelder das Reifengeschäft als stärkste Sparte des Unternehmens schon in absehbarer Zeit ablösen?
Nein. Level A und Kern unseres geschäftlichen Handels sind Reifen. Wir arbeiten mit unseren Entwicklungspartnern in der Automobilindustrie daran, weiterhin Top-Produkte zu entwickeln, die die Bandbreite technischer Anforderungen bestmöglich erfüllen. Es geht darum, Materialverbrauch und Herstellungsprozesse zu optimieren und natürlich die teils gegensätzlichen Einsatzkriterien weltweit am besten zu lösen. Und dann ist da noch der Mehrwert, den wir den Herstellern künftig anbieten können: Informationen und Daten sowie Kommunikation zwischen Reifen und Auto. Das bezeichnen wir als Level B. Themen wie Fleetcare sind Level C.