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Geht auch ganz einfach:

Mercedes-Benz-Museum: Reportage Nachts im Mercedes-Museum

Elmar Siepen Testredakteur
Inhalt
  1. Spritztour in die Vergangenheit im Mercedes-Benz-Museum
  2. Rennwagen aus den 30ern saugen den Betrachter förmlich auf
  3. Modelle der 50er-Jahre im Mercedes-Benz-Museum
  4. Traumhafte Autos im Mercedes-Benz-Museum

Geschichte braucht Zeit um stattzufinden. Manchmal ist es aber auch Zeit, Geschichte zu erleben – am besten ungestört. So wie in einem Traum. In unserer Reportage wird dieser Traum wahr--  Nachts im Mercedes-Benz-Museum.

Es war wieder so eine Woche, die man vergessen möchte, bevor sie geendet hat: Der Testwagen kam später als erwartet, das Wetter ließ die ganze Zeit keine Messungen zu, und das neue Redaktionssystem hielt auch noch die eine oder andere blutdrucktreibende Überraschung bereit. Hundemüde fahre ich bei ungemütlichen zwei Grad nach Hause. Die Scheibenwischer schaffen den Nieselregen nur mit Mühe von der Windschutzscheibe. Im frisch bezogenen Bett lässt die bleierne Schlafschwere zum Glück nicht lange auf sich warten, ich möchte mich einfach nur wegträumen …Das Mercedes 230 Coupé aus dem Jahr 1977 trägt mich mit seinen 109 PS sanft durch die Straßen, die Dämmerung bricht herein. Vor mir prangt ein Armaturenbrett mit Schaltern und Hebeln voll durchdachter Funktionalität – einfach herrlich inmitten des Touchscreen-Zeitalters.

Die Zeit verfliegt … auf einmal taucht vor mir in der Dunkelheit das Stuttgarter Monument der Mobilität, das Mercedes-Benz-Museum, auf. Ich halte an und steige aus. Es ist spät, das Museum ist geschlossen, es scheint niemand da zu sein. Doch die Eingangstür steht offen … "Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung. Ich glaube an das Pferd!", schießt es mir durch den Kopf. Das soll Seine Majestät, Kaiser Wilhelm der II., einst geäußert haben. Mit Verlaub, Majestät, Sie irrten. Schauen Sie sich nur einmal um! Hier der Benz Patent-Motorwagen von 1886, dort der Mercedes Simplex von 1902 – der erste Mercedes, der diesen Namen trug. Er war sportlich für die damalige Zeit und benannt nach Mercédès Jellinek, der Tochter von Emil Jellinek, Importeur der Wagen der "Daimler-Motoren-Gesellschaft" in Frankreich: "Mercédès, dein schöner Name soll meine Motorwagen künftig zieren." "Oh, das ist eine große Ehre, Herr Vater. Dann mögen Eure Geschäfte erfolgreich sein." Was sie zweifelsohne waren und dazu führten, dass der Name zum Warenzeichen der Automobile wurde. Aber das Mercedes-Benz-Museum birgt noch viel mehr Geschichte… Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon

Der Breitbau-Benz 560 SEC im Video:

 
 

Spritztour in die Vergangenheit im Mercedes-Benz-Museum

Eine Etage tiefer im Mercedes-Benz-Museum parkt, nein thront der feuerrote 500 K Spezial-Roadster von 1936 mit Kompressor-Motor und 160 PS (118 kW): Es ist eine nahezu verschwenderische Ansammlung von Formen, Materialien und Handwerkskunst, die sich im Lichtkegel meiner Taschenlampe aus dem Dunkeln schält. Hinter dem Steuer gleitet der Blick über das Art-Deco-Armaturenbrett, Instrumente mit cremefarbenen Zifferblättern, filigrane Hebel und Schalter – eigentlich zu schade zum Anfassen. Dunkelheit und Stille lassen dieses automobile Kunstwerk noch eindrucksvoller wirken. Wie unbeschwert müssen die Schönen und Reichen hier ins Lenkrad gegriffen haben, nichtsahnend oder gar verdrängend, was für eine Katastrophe ihnen bevorstand.

Sich fahren lassen als lebensfrohes Gemeinschaftserlebnis garantierte dagegen Hector Prieto, argentinischer Bus-Unternehmer aus Buenos Aires, ab 1969 mit dem Mercedes LO 1112. "Señor, fahren sie nach La Perlita?!" "Ja,wie immer. Steigen Sie ein, Señora!" "Und meine beiden Hühnerkäfige?" "Die passen auch noch rein." Dialoge wie diese haben sicher x-fach stattgefunden in diesem bunten Bus, verziert mit unzähligen Glücksbringern und Andenken. Tausende Fahrgäste mit abertausenden von Zielen dürften ihn genutzt haben. Vor meinem geistigen Auge tauchen die Bilder palavernder Reisender auf, bepackt mit dem halben Hausstand – nicht immer auf der Sonnenseite des Lebens unterwegs. Vorbei, dieser Bus steht im Mercedes-Benz-Museum in seinem finalen Depot. Ich setze mich ans Steuer und schnuppere beim Blick durch die Frontscheibe auf das nächtliche Stuttgart den typischen Geruch alter Automobile: Gummi, Öl, Leder. Herrlich!

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Rennwagen aus den 30ern saugen den Betrachter förmlich auf

Ich schlendere weiter, komme in die Silberpfeil-Abteilung des Mercedes-Benz-Museums und schaffe es kaum, das enge Cockpit des W125 von 1937 zu entern – damals hat man wohl Autos um besonders gelenkige Fahrer:innen herumgebaut. 750 Kilogramm, 5,7-Liter-Reihenachtzylinder, 592 PS (435 kW), 320 km/h, Trommelbremsen, aber keine Gurte, keine Knautschzonen, die Lenksäule zielt genau aufs Brustbein, und die Zehenspitzen sind nur Zentimeter vom Getriebegehäuse entfernt: Ich träume mich ins Fahrgefühl, versuche, das Tempo zu fühlen und die Schläge zu spüren, die die Federung austeilt. Bemühe mich um Furchtlosigkeit, während ich die Menge wie durch Watte gedämpft auf den Rängen jubeln höre.

Mit diesem Wagen Rennen zu fahren, muss unfassbar laut, heiß, anstrengend und riskant gewesen sein. Selten lagen wohl Triumph und Tragödie so dicht beieinander – so wie bei der stromlinienförmigen Zwölfzylinder Rekord-Ausgabe des W125, die schräg gegenüber in einer stilisierten Steilkurve hängt. Rudolf Carraciola schaffte damals mit einem Durchschnittstempo von 432,7 km/h die höchste jemals auf einer öffentlichen Straße erreichte Geschwindigkeit. Bernd Rosemeyer auf dem Auto Union Typ R mit V16-Motor wollte noch schneller sein. "Mensch Bernd, tu es nicht, der Wind frischt auf. Das geht nicht gut". "Ach Rudi, sei nicht so ängstlich. Du wirst sehen, ich bin schneller." Heute erinnert ein Gedenkstein an einem Rastplatz auf der A5 nahe der Ausfahrt Langen daran, was am 28. Januar 1938 passierte: Rosemeyers Wagen wurde von einer Windböe erfasst, geriet mit den linken Räder auf den Grünsteifen, stellte sich quer und überschlug sich zigfach. Rosemeyer wurde herausgeschleudert und war sofort tot.

 

Modelle der 50er-Jahre im Mercedes-Benz-Museum

Nacht im Mercedes-Benz-Museum

Das sogenannte Uhlenhaut-Coupé. Foto: Daniela Loof

Mein Weg durch das Mercedes-Benz-Museum führt mich weiter zu den Nachkriegs-Modellen und in eine Zeit, in der den Sportwagen buchstäblich (Tür)-Flügel wuchsen. So wie dem legendären Uhlenhaut-Coupé von 1955. Davon existieren nur zwei – das zweite wurde im vergangenen Jahr versteigert und ist mit 135 Millionen Euro das teuerste Auto der Welt.

Ja, in den 50ern wurde wieder Geld verdient, auch dank Nutzfahrzeugen wie dem LK 338 Kipper, einem Kurzhauber, der ab 1959 auf unzähligen Baustellen zu Hause war und Wirtschaftswunder sowie Wohlstand auf die Sprünge half. In der Fahrerkabine blicke ich auf viel nacktes Blech und ein riesiges Lenkrad – gut für mächtig viele Schwielen an den Händen der Kipper-Kapitäne. Mit Sicherheit. Plötzlich riecht es im Mercedes-Benz-Museum nach Zigarre, Qualm steigt im spärlichen Licht neben mir auf. "So wollte ich jeden Zweifel beseitigt wissen, dass ich die Verwirklichung einer Wirtschaftsverfassung anstrebe, die immer weitere und breitere Schichten unseres Volkes zu Wohlstand zu führen vermag." … "Das mit der Wirtschaft hat ja einigermaßen geklappt, aber Rauchen ist doch gar nicht mehr zeitgemäß, lieber Herr Wirtschaftsminister Erhard."

 

Traumhafte Autos im Mercedes-Benz-Museum

Auf der anderen Gebäudeseite des Mercedes-Benz-Museum treffe ich auf das "Experimental Sicherheits-Fahrzeug ESF 22" von 1973, das auf der S-Klasse (W116) basierte. An Bord: Airbag, Gurtstraffer, Knautschzonen. "Was machen Sie da?" "Ach, der Herr Barényi, Vater der passiven Sicherheit, Sie hier?" "Hier habe ich meine Ruhe. Musste schließlich viele Prozesse führen wegen der Verletzung meiner Patente im Sicherheitsbereich. War sehr anstrengend. Sie wissen schon, Sicherheitslenkrad und so weiter. Und was machen Sie so?" "Ich schaue mir traumhafte Autos an."

Allmählich schmerzen meine  Knochen, ich scheine bereits seit Stunden unterwegs zu sein, trotzdem schaue ich noch kurz beim "blauen Wunder" vorbei, dem "Spezialschnelltransporter für Rennwagen" und ursprünglich gebaut von der Versuchsabteilung. Er war damals bis zu unglaubliche 170 km/h schnell – mit einem Mercedes 300 SLR auf der Ladefläche. Was mögen überholte Käfer-Fahrer jener Zeit gestaunt haben … Ein faszinierendes Exponat, auch wenn es eines von zwei Nachbauten ist. Ich gönne mir jetzt aber erst einmal eine Pause im bunten O 302, einem Reisebus, wie ihn die deutsche Nationalmannschaft während der Weltmeisterschaft 1974 nutzte, und lasse mich in die bequemen Polster fallen – was für eine Beinfreiheit! Aus dem Mercedes-Benz-Museum will ich gar nicht mehr weg. Gerade als ich mich so richtig entspanne, ertönt plötzlich ein rhythmischer Piepton. Habe ich irgendwo einen Alarm ausgelöst? Kommt etwa gleich der Nachtwächter oder gar die Polizei? Das Geräusch wird lauter … Ich drehe mich schlaftrunken um – die Digital-Anzeige des Weckers meldet 6:10 Uhr. Der Regen prasselt auf die Fensterbank.

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