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Geht auch ganz einfach:
Alle Tests zum Mercedes E-Klasse

Mercedes E 55 AMG Ohne Risiko und Nebenwirkungen

Ein AMG ist nicht irgendein Mercedes, sondern einer, der süchtig macht, den man nicht mehr hergeben will. Wir müssen es wissen, wir fuhren ihn 100000 Kilometer

Eckdaten
PS-kW476 PS (350 kW)
AntriebHeckantrieb, 5 Gang Automatik
0-100 km/h4.7 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit250 km/h
Preis92.162,00€

AMG - offiziell verbirgt sich hinter diesen drei Buchstaben das deutsche Arznei-Mittel-Gesetz. Auto-Enthusiasten indes erkennen in dem Kürzel die Namensbezeichnung der früheren Mercedes-Haustuner Aufrecht Melcher Großaspach. In unserem Fall sind beide Definitionen erlaubt. Denn einerseits steht der E 55 in direkter Nachfolge zum legendären Mercedes 300 SEL 6.3, dem ersten AMG von 1971. Andererseits ist der Bolide aber auch wie ein Kreislaufmittel, das den Körper in Schwung bringt.

Aber der Reihe nach: Als sich vor knapp 20 Monaten der Mercedes E 55 AMG ankündigte, lagen Begeisterung und Verunsicherung nah beieinander. Ein V8-Kompressor, 476 PS und 700 Newtonmeter Drehmoment in einem Dauertest? So etwas hatte es in der Geschichte der AUTO ZEITUNG noch nie gegeben. Nur um die Relationen herzustellen: 476 PS, das ist fast doppelt so viel Leistung, wie der stärkste Audi TT aufbringt, 133 PS mehr als ein BMW M3 und immer noch 56 PS mehr als ein Porsche 911 Turbo. Die Chancen, in einem E 55 AMG von hinten bedrängt zu werden, sind also praktisch gleich Null. Andererseits stellt sich die Frage, ob und wie ein aufgeladener V8 die tägliche Tortur über 100000 Kilometer überstehen würde.

Mit der Ankunft des Testwagens sind alle Befürchtungen wie weggeblasen. Sein Leistungsvermögen ist dem AMG kaum anzusehen. Heckschürze und Seitenschwellerverkleidungen sehen nur minimal muskulöser aus als bei jedem anderen E-Klasse-Mercedes. Und auch der sportliche Frontspoiler ist - seitdem es nachrüstbare AMG-Stylingpakete gibt - kein eindeutiges Indiz für überdurchschnittliche Fahrleistungen. Nein, den Beweis, dass hier etwas anders ist, liefern erst die vier armdicken, ovalen Auspuffrohre.

Die Freude ist groß, das Echo durchweg positiv, und schnell entwickelt sich der E 55 zum Liebling der Redaktion. Kein Wunder, denn die Leichtigkeit, mit der der AMG Geschwindigkeit aufbaut und die Tachonadel zur 250-km/h-Marke treibt, beeindruckt immer wieder. Dabei ist die Fünfgang-Automatik des E 55 so lang übersetzt, dass der Motor selbst im vierten Gang bei Erreichen des Speedlimits noch lange nicht ausdreht. Übrigens: Für 2494 Euro spendiert AMG dem E 55 eine neue "Vmax-Unit". Mit dieser rennt der Mercedes dann unbegrenzte 295 km/h.

Seinen enormen Vorwärtsdrang verdankt der AMG vor allem dem mechanischen Lader, der den Achtzylinder mit maximal 0,9 bar unter Druck setzt. Im Innern des Kompressors drehen sich zwei teflonbeschichtete, gegenläufig rotierende Schaufelräder mit bis zu 23000 Touren pro Minute und drücken dabei 25000 Liter Luft in die Brennräume - zehnmal so viel, wie ein 2000-Watt-Staubsauger befördern kann.

Dieser Verdichter läuft nicht permanent, sondern abhängig von Motordrehzahl und Lastzustand. Ähnlich wie bei einem Fahrrad, bei dem man während der Fahrt den Dynamo zuschaltet, aktiviert die Motorelektronik über Keilriemen und eine Magnetkupplung blitzschnell den Kompressor. Bei maximaler Drehzahl steigert allein der Lader die Motorleistung um 95 PS. Für die restliche 27-PS-Differenz zum V8-Saugmotor des Vorgängers sind diverse Optimierungsmaßnahmen - von der modifizierten Motorsteuerung bis hin zur Reduzierung der Reibleistung - verantwortlich.

Schnell spult der AMG die Kilometer herunter, doch schon kommt erste Kritik auf. Frühzeitig einsetzendes Aquaplaning und Hinweise auf mangelnde Traktion und Kurvenstabilität führen schnell zur Ursache: Bereits nach 23000 Kilometern ist das Profil der 265er-Hinterreifen deutlich abgefahren. Ein teurer Spaß, immerhin kostet ein Satz Continental Sport Contact knapp 1400 Euro.

Mit steigenden Benzinpreisen drückt auch die Trinkfreude des AMG immer stärker aufs Portemonnaie. Bei forcierter Gangart reicht der 80-Liter-Tank nur für eine Strecke von 300 Kilometern. Dabei begleitet den Fahrer stets der kraftvolle Sound des V8-Kompressors. Das auf kurzen Strecken unterhaltsame sonore "rrrrrr" des Laders und der dunkle Posaunenklang der vier Endrohre vereinen sich auf Dauer zu einer akustisch stets präsenten Komposition. So ist der E 55 bei 100 km/h drei Dezibel lauter als ein E 500.

Fahrwerk und Bremsen zeigen sich auch dauerhaft der Urgewalt des Motors gewachsen. Der Mercedes ist zwar keine Sänfte, aber für eine auf Fahrdynamik getrimmte Hochleistungslimousine bietet sein Luftfederungssystem einen bemerkenswerten Komfort. Zu diesem Fazit kommt auch ein Kollege, der im Fahrtenbuch kurz und knapp "perfekte Synthese aus Renntourenwagen und Reiselimousine" notiert.

Für diese Einschätzung sprechen auch die Ergebnisse des Bremsentests: Nach nur 38,2 Metern kommt die über 1,8-Tonnen-Limousine aus Tempo 100 zum Stillstand. Die Hälfte der Testphase ist schnell vorüber. Die Zwischenbilanz: keine technischen Mängel, keine Ausfälle, keine Kritik. Oder doch?

Die Analyse des Fahrtenbuches zeigt, dass der E 55 regelmäßig nach Motoröl verlangt - durchschnittlich 0,5 Liter pro 1000 Kilometer. "Völlig normal", sagt Mercedes und verweist auf unserern verschleißfördernden Fahrstil.

Bei Kilometer 69305 passiert dann endlich das, worauf alle gewartet haben - der AMG wechselt bei voller Fahrt ins Notlaufprogramm und reduziert das Tempo auf 120 km/h. "Also doch", hört man es von einigen Mitarbeitern, die unter den extremen Test-Bedingungen schon lange einen Defekt erwartet hatten.

Dann die Überraschung: Ein Marder hatte Gefallen an einem Kabel im Motorraum gefunden und es kurzerhand durchgebissen. Das war alles.

Erstaunlich auch die Ausdauer der Multikontur-Sitze. Nach 100000 Kilometern hat die Farbgebung zwar etwas von ihrer anfänglichen Frische eingebüßt, Polster und Lederbezug überstehen die 2157 Belastungsstunden aber ohne erkennbare Schwächen. Aber der E 55 erlebt nicht nur Sonnen-, sondern auch Regentage.

Und dann geht mit dem 476 PS starken Hecktriebler so richtig die Post ab: Wird das elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) per Tastendruck abgeschaltet, zeigen sich die Antriebsräder schlagartig überfordert und garantieren in Kurvenfahrt ansatzlose Drifteinlagen. Den quer treibenden AMG durch Gegenlenken auf Kurs zu halten, stellt weniger erfahrene Piloten vor massive Probleme. Bei schnellen Richtungswechseln verhärtet nämlich die Servolenkung und macht gefühlvolle Lenkkorrekturen unmöglich.

Nach 20 Monaten geht es zur letzten Begutachtung: Abgesehen von einem durch die Motorwärme leicht verformten Seitenschweller lassen die Spaltmaße an den Türen, der Motorhaube und der Heckklappe keine Abweichungen zum Testbeginn erkennen. Und auch die häufig benutzten Tasten der Fensterheber, die Türgummis und die glänzende Metalliclackierung zeigen sich makellos.

Es kommt selten vor, dass die Redaktion nach 100000 Kilometern einem Auto nachtrauert. Beim E 55 AMG ist es so.

Andreas G. Schleith

Fazit


Technische Daten
Motor 
ZylinderV8
Hubraum5439
Leistung
kW/PS
1/Min

350/476
6100 U/min
Max. Drehmom. (Nm)
bei 1/Min
700
2650 U/min
Kraftübertragung 
Getriebe5 Gang Automatik
AntriebHeckantrieb
Fahrwerk 
Bremsenv: innenbel. Scheiben
h: innenbel. Scheiben
Bereifungv: 245/45 R 18
h: 265/35 R 18
Messwerte
Gewichte (kg) 
Leergewicht (Werk)1835
Beschleunigung/Zwischenspurt 
0-100 km/h (s)4.7
Höchstgeschwindigkeit (km/h)250
Verbrauch 
Testverbrauchk.A.
EU-Verbrauch17.4l/100km (Super)
Reichweitek.A.
Abgas-Emissionen 
Kohlendioxid CO2 (g/km)k.A.

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