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Geht auch ganz einfach:

Faszination Auto: Aston Martin One-77 Machine Gun

Inhalt
  1. EIN TYP WIE JOHN CLEESE AUF ANABOLEN STEROIDEN
  2. COSWORTH BRACHTE DEN FRIEDLICHEN V12 IN RAGE
  3. One-77: Anders als andere Aston-Martin-Modelle
  4. IN DER FERTIGUNGSHALLE HERRSCHT ABSOLUTE RUHE
  5. Eine britisch-italienische "Orgie"

"Wir gehen aufs Ganze“, sagte der Boss, Dr. Bez, und ließ eine 750-PS-Kanone bauen, die den Aston Martin-Smoking mächtig ausbeult: den One-77

Perfektes Understatement ist ein probates Rezept zur Markenpositionierung. Aston Martin fährt seit vielen Jahren gut damit. Die eleganten, traditionsverbundenen Formen der Modelle DB9 und V8 Vantage suggerieren Augenmaß und Stilsicherheit. Wer Aston Martin fährt, ist damit immer gut angezogen, ob in Hockenheim oder in Bayreuth.

Bloß auf Dauer wird diese "political correctness", diese frauenverstehende Diskretion ein wenig fad, und dann gibt es nichts Besseres gegen die aufkommende Langeweile als einen Tabubruch, eine regelrechte Entgleisung. Die Lust an der spontanen Provokation mit schrillen Farben und maßloser Übertreibung prägt nicht nur den Humor der Briten, sondern auch ihre Beziehung zum Auto. Und deshalb passt der "One-77" so perfekt ins Portfolio von Aston Martin wie Monty Python ins Ärmelschonerkompatible TV-Programm der BBC.

Aston Martin lässt solche Monsterautos öfters vom Stapel. Die Ahnengalerie des One-77 kann man vom Vanquish S über die 600 PS starken Mutationen auf Virage-Basis bis zum DBS V8 Vantage der frühen 80er verfolgen.

 

EIN TYP WIE JOHN CLEESE AUF ANABOLEN STEROIDEN

Jedes dieser "Over-the-Top“-Modelle wirkte bizarr übertrieben wie John Cleese nach Einnahme einer Höchstdosis anaboler Steroide. Der Aston Martin One-77 steht in dieser Tradition. Als das Concept Car im Mai 2009 am Comer See erstmals der Welt präsentiert wurde, rissen sie sich im Aston Martin Owners Club wahrscheinlich kollektiv in David-Beckham-Style die Dinner-Jackets vom Leib, ließen ihre Unterarm-Tattoos aufblitzen und inhalierten "Smokehead“ Single Malt anstelle von Ballantines on the rocks.

Endlich platzte in die Schmuserunde der Aston Martin-Coupés für erfolgreiche Investmentbanker wieder ein nicht gesellschaftsfähiger Brachialtyp mit gebleckten Zähnen, verkniffenen Augen und einer Zwölfzylinder-Knarre ausgestattet, die den Alu-Smoking an den richtigen Stellen so unmissverständlich ausbeult, dass selbst die langhaarigen Rotzlöffel in ihren Gallardo freiwillig den rechten Fahrbahnrand ansteuern.

 

COSWORTH BRACHTE DEN FRIEDLICHEN V12 IN RAGE

Sie tun gut daran, denn der One-77 macht keine leeren Versprechungen. Er ist der schnellste und stärkste Aston Martin, den es je gab, und das will etwas heißen – siehe oben. Hinter dem zur Fratze verzerrten Aston-Gesicht mit weit aufgerissenem Kühlergrill brüllt ein Monster von einem Motor mit 7,3 Liter Lungenvolumen – nach unserer Schätzung das mächtigste Organ, das englische Ingenieure je für einen ihrer Seriensportwagen gebaut haben, wenn man vom Bentley 8-Litre Sports Saloon aus dem Jahr 1930 einmal absieht, der angesichts seiner monumentalen Chassiskonstruktion getrost zur Kategorie "Schwere Nutzfahrzeuge“ gerechnet werden kann.

Wie immer wenn den Briten der Sinn nach einer ordentlichen Leistungsausbeute steht, sind auch die Produktplaner von Aston Martin bei Cosworth vorstellig geworden und haben ihren mit 477 PS etwas schwach auf der Brust befindlichen V12-Vierventiler dort zur Kur eingewiesen. Cosworth hat das Aggregat erstmal anständig aufgebohrt, den Hub vergrößert und die alten eingeschrumpften Zylinderlaufbuchsen durch eine Spraybeschichtung ersetzt.

Parallel dazu musste das Biest 15 Prozent Gewicht abspecken und eine Trockensumpfschmierung über sich ergehen lassen. So entstand ein Powerhouse, das 750 Newtonmeter Drehmoment entwickelt, sich zu schier unfassbaren 7500/min aufschwingt und dabei 750 Pferdestärken freisetzt. Wie das automatisierte Sechsgang-Getriebe an der Hinterhand mit dieser Krafteruption ohne Zahnausfall fertig wird, bleibt sein Geheimnis. Von vorn sieht der One-77 noch einigermaßen vertraut aus – wie ein stark echauffierter DBS.

 

One-77: Anders als andere Aston-Martin-Modelle

Wer den One-77 von der Seite betrachtet, erkennt gravierende Veränderungen. Die Vorderachse wurde um 50 Millimeter nach vorn gezogen, die Motorhaube ist länger, das Dach flacher und das Heck kürzer als üblich bei Aston Martin. Das Fahrzeug wirkt enorm gestreckt. Der kräftige Hüftschwung über den Hinterrädern hat Schule gemacht:  Er ziert inzwischen auch den neuen V12 Zagato, der ähnlich aggressiv auftritt, aber mit 1,86 Meter Schulterbreite gegenüber dem mit glatten zwei Meter protzenden Aston Martin One-77 im direkten Vergleich ein klein wenig zierlich wirkt.

Als Geschäftsführer Dr. Ulrich Bez den One-77 vor über vier Jahren in Auftrag gab, galt ein Karosseriegerüst aus Torque Tube und Platten aus handgefertigten Kohlefaser Honeycomb-Strukturen noch als lupenreine Rennsporttechnologie. Inzwischen traten mit Lexus LFA und Lamborghini Aventador zwei Wettbewerber mit ähnlichem Konzept auf den Plan. Auch horizontale Feder-Dämpfer-Einheiten und geschmiedete Doppelquerlenker zur Radführung sind rennsporterprobte Mittel zur Absenkung des Fahrzeugschwerpunkts und Optimierung der Radführung bei höchsten Querbeschleunigungen.

 

IN DER FERTIGUNGSHALLE HERRSCHT ABSOLUTE RUHE

Umhüllt wird das Ganze bei Aston Martin von handgefertigten Aluminiumpaneelen, die in einem von Airbus für den Flugzeugbau entwickelten Verfahren miteinander verbunden werden. Aston Martin hat in seinem Headquarter in Gaydon eigens für den Bau des One-77 eine neue Fertigungshalle eingerichtet. Die erfahrensten und versiertesten Mitarbeiter setzen dort buchstäblich in aller Ruhe jeden Wagen von Hand zusammen. 1500 Mann-Stunden sind dafür notwendig, von der Rohkarosse bis zum fertigen Auto vergehen drei Monate.

Dafür findet sich anschließend nirgends im Innenraum schnödes Plastik, sondern nur massives Aluminium. Griffe,  Halterungen, die Rahmen der Luftdüsen und Lautsprecher, alles wirkt wie aus dem Vollen gefräst. Für die Schönheiten im Detail hat allerdings keiner mehr ein Auge, wenn Aston Martin-Chefingenieur Chris Porritt mit dem fertigen Auto auf der hauseigenen Teststrecke die Sau rauslässt.

 

Eine britisch-italienische "Orgie"

In einer Orgie aus verrauchenden italienischen Reifen (Pirelli), bissigen italienischen Bremsen (Brembo) und dem triumphierenden Geheul des Zwölfzylinders fegt Porritt für die Kamera um den Kurs und pulverisiert jeden Verdacht, dass dieser Aston Martin Mühe haben könnte, die schwindelerregende Höchstgeschwindigkeit von 354 km/h tatsächlich zu erreichen.

77 Kunden werden in den Genuss kommen, einen neuen One-77 übernehmen und das Fahrwerks-Set-up nach ihren individuellen Vorlieben abstimmen lassen zu dürfen. Jeder von ihnen bezahlt 1,4 Millionen Pfund dafür. Was tut man nicht alles, um die Langeweile zu vertreiben.
Karsten Rehmann

AUTO ZEITUNG

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