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Geht auch ganz einfach:

Crashtest: Euro NCAP/Dummy/Historie

Crashtest erstmals bei Ablauf geröntgt

AUTO ZEITUNG
Inhalt
  1. Was ist die Euro NCAP?
  2. Welche Kriterien gelten beim Euro-NCAP-Crashtest?
  3. Was kostet eine Crashtest-Anlage?
  4. Was bringen Crashtests für die Sicherheit?
  5. Computersimulationen statt Crashtest?
  6. Erstmals Crashtest geröntgt
  7. Wie hat sich der Crashtest im Laufe der Geschichte entwickelt?

Seit 2020 gelten höhere Standards für den genormten Crashtest der Euro NCAP, die 2023 weiter verschärft wurden. Erstmals gibt es nun Röntgenaufnahmen während eines Crashtests. Alles zum Thema Crashtest und seiner Historie hier!

 

Was ist die Euro NCAP?

Euro NCAP (European New Car Assessment Programme) ist der Zusammenschluss aus europäischen Verkehrsministerien, Versicherungen und Automobilclubs. Die Organisation bewertet seit 1996 nicht auf behördliche Anordnung, sondern als reine Verbraucherschutzorganisation die Sicherheit neuer Autos. Dabei agiert Euro NCAP laut Siegfried Brockmann, seit 2006 Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UdV), deutlich schneller als der Gesetzgeber. Neue, marktrelevante Autos werden in den vier Kategorien Insassenschutz, Kindersicherheit, Fußgängerschutz und Fahrassistenz mit bis zu fünf Sternen bewertet. Die Bewertung ist nicht nur besonders übersichtlich und dadurch auch verbraucherfreundlich, sondern für Automobilhersteller inzwischen auch ein wichtiges Gütesiegel ihrer Modelle. Auch interessant: Unsere Produkttipps auf Amazon

Die Erfindung der dritten Bremsleuchte im Video:

 
 

Welche Kriterien gelten beim Euro-NCAP-Crashtest?

Die Organisation Euro NCAP (European New Car Assessment Programme) hat die zuletzt 2020 angehobenen Standards der Crashtest-Bewertung 2023 noch einmal verschärft.

Assistenzsysteme im Fokus

Bei Crashtests gilt ab 2023: Unfälle vollständig vermeiden statt Verletzungen minimieren. Vor allem Menschen, die auf Fahrrädern oder zu Fuß unterwegs sind, sollen möglichst nicht mehr in Kontakt mit Fahrzeugen kommen. Konkret bedeutet das, dass die Testorganisation auch Assistenzsysteme beispielsweise zur automatischen Geschwindigkeitsregelung unter die Lupe genommen werden. Die Systeme müssen nicht nur Straßenverläufe, Ampelanlagen, Querverkehr oder Straßenschilder erkennen und entsprechend reagieren können, sondern auch vulnerable Verkehrsteilnehmende rund um das Fahrzeug berücksichtigen. Notbremsassistenten müssen auch auf Zweiräder reagieren, sonst gibt es keine fünf Sterne im Crashtest.

Mehr Fokus auf Unfallgegner

Vor allem mit Blick auf den anhaltenden SUV-Boom, mit dem immer mehr bullige und schwere Fahrzeuge auf die Straßen rollen, war das Update des Testverfahren 2020 ein wichtiger Schritt. Denn große Autos stehen bei einem Crash in der Regel sicherer da als kleine Modelle – auch wenn beide Fahrzeuge erhalten die Topbewertung von fünf Sternen im Euro-NCAP-Crashtest eingefahren haben. Der verbesserte Standard beim Euro-NCAP-Crashtest sieht einen Frontalcrash mit einem normierten Kompaktklasse-Fahrzeug vor. Zuvor krachten Fahrzeuge im Crashtest auf eine nicht verformbare Barriere. Wie sich der Aufprall auf den Unfallgegner auswirkt, kann bei diesem Vorgehen allerdings kaum festgestellt werden. Der optimale Schutz der eigenen Passagier:innen sowie der Menschen, die zu Fuß unterwegs sind, reicht für die Bestnote nicht mehr aus.

Verbesserter Crashtest-Dummy

Neben den höheren Standards kommt seit 2020 beim Euro-NCAP-Crashtest auch ein neuer Crashtest-Dummy namens "Thor" zum Einsatz. "Thor" soll flexibler und mit mehr Messpunkten "gefühlsechter" sein als sein Vorgänger – vor allem bei schwere Brustkorb- und Bauchverletzungen. Außerdem zeige er, was passiert, wenn sich der Körper beim Aufprall seitlich verdreht oder der Bauch unter dem Beckengurt durchrutscht.

 

Was kostet eine Crashtest-Anlage?

Moderne Crashtest-Anlagen ermöglichen dank computergesteuerter Schlitten exakt definierte Winkel und Geschwindigkeiten (bis zu 120 km/h) im Moment des Aufpralls. Crashtest-Dummys erfassen im selben Moment mit teilweise mehr als 100 Sensoren die vielfältigen Belastungen, denen menschliche Körper beim Einschlag ausgesetzt sind. Und schließlich wird das Ganze perfekt ausgeleuchtet und aus allen Perspektiven – außen, innen und selbst unter dem Fahrzeug – von Highspeedkameras erfasst. Diese fangen jede Tausendstel-Sekunde ein hochauflösendes Bild ein und zeigen so haargenau jede noch so kleine Verformung der Karosseriestruktur und die Entfaltung der Airbags. Ab etwa einer Million Euro kostet eine einfache Anlage, auf der Komponenten wie Sitze (zerstörungsfrei) getestet werden. Komplette Anlagen mit mehreren Bahnen inklusive Hightech-Simulatoren erfordern hingegen Investitionen von etwa 20 Millionen Euro.

 

Was bringen Crashtests für die Sicherheit?

Knapp 800.000 Verkehrstote seit 1950 allein auf deutschen Straßen und mehr als 30 Millionen Verletzte verzeichnet die Statistik. Trauriger Rekordhalter ist das Jahr 1970 mit über 21.000 Verkehrstoten. Eine düstere Zahl, an der sich etwas ändern musste. Neben Promillegrenze, Geschwindigkeitslimits oder Anschnallpflicht – wichtige Meilensteine, die uns mehr Sicherheit am Steuer und im Straßenverkehr bescherten – tragen Crashtests einen erheblichen Teil zur Verkehrssicherheit bei. Generell gilt die Regel: Mehr testen bringt mehr Sicherheit. Das bestätigt auch Siegfried Brockmann, seit 2006 Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UdV), für den die Einführung des Euro NCAP (European New Car Assessment Programm) ein wahrer Segen für die Sicherheit unserer Autos ist.

Weniger als 3000 Verkehrstote pro Jahr zählt das Statistische Bundesamt inzwischen. Der Fortschritt ist zweifelsohne zu erkennen, doch weiterhin verlieren nach wie vor viel zu viele Menschen ihr Leben im Straßenverkehr. Die Marschrichtung ist klar: Immer ausgeklügeltere Assistenzsysteme sollen mehr und mehr Unfälle verhindern und gleichzeitig das Verletzungsrisiko deutlich minimieren, wenn es doch zu einem Unfall kommt. Schon in den kommenden Jahren erlangen neue Systeme Marktreife. Kameras werden künftig erkennen, in welcher genauen Position sich die Insass:innen zum Zeitpunkt eines Crashs befinden, um die Wirkung von Gurten und Airbags entsprechend zu steuern.

 

Computersimulationen statt Crashtest?

Für die Weiterentwicklung der passiven und aktiven Sicherheit von modernen Fahrzeugen spielen längst Computer eine tragende Rolle. Ersetzen wird die stetig steigende Rechenleistung den klassischen Crashtest aber noch lange nicht. Zwar unterstützt künstliche Intelligenz (KI) die Entwicklung von Sicherheitssystemen mit immer aufwendigeren Simulationsmodellen. Doch auch die KI muss initial mit Daten gefüttert werden. Und die entstehen bei reellen Crashtests. Sobald die Entwicklungsphase beendet ist, müssen die Sicherheitssysteme ihre Funktion unter Beweis stellen und wiederum zum Crashtest antreten.

 

Erstmals Crashtest geröntgt

Mercedes hat zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik, dem Ernst-Mach-Institut (EMI) in Freiburg, ein Röntgengerät bei seinen Crashtests installiert und während des Zusammenpralls das Crashtest-Auto durchleuchtet. Dabei kollidierte eine Mercedes C-Klasse bei einer Geschwindigkeit von 60 km/h seitlich mit einer Stoßbarriere. Die Röntgenaufnahmen geben Einblick in die Verformungen des Wagens und der Dummies während des Aufpralls. Die hochdynamischen inneren Deformationsvorgänge könne dank hochauflösender Standbilder im Detail betrachtet werden. Möglich macht das die Kurzzeit-Röntgentechnik, die bis zu 1000 Bilder pro Sekunde aufzeichnet. Die Apparatur ist an der Hallendecke des Testareals montiert und sendet die Röntgenstrahlen zum Röntgendetektor am Boden unter dem Fahrzeug. "Entscheidend für den Durchbruch war es, einen Linearbeschleuniger mit 1-kHz-Technologie als Strahlenquelle einzusetzen. Das Gerät ist weitaus leistungsfähiger als die vorher versuchsweise verwendeten Röntgenblitze", erklärt Mercedes seinen Crashtest-Meilenstein.

 

Wie hat sich der Crashtest im Laufe der Geschichte entwickelt?

Erste Beseitigung von Sicherheitsrisiken

Vergleichsweise schnell realisieren ließ sich die Beseitigung von Sicherheitsrisiken, mit denen Autos in der Frühzeit des Automobilbaus serienmäßig ausgerüstet waren. Spitze, teilweise mehrere Zentimeter vorstehende Hutmuttern zur Lenkradbefestigung, etwa am Ford Model T, sind längst passé, wie auch einteilige Lenksäulen, die sich bei einem Frontalaufprall in die Oberkörper der Fahrer bohrten. Armaturenbretter vom Typ Stahlträger wichen Kunststoffen, und zerberstende Windschutzscheiben zerschneiden spätestens seit den 70er-Jahren dank Verbundglas keine Arterien mehr – beim Trabi allerdings erst seit 1988. Zur Entwicklung von stabilen Längsträgern, die die Fahrgastzelle schützen, präzise auslösenden, mehrstufigen Airbagsystemen oder zur Gestaltung von Fahrzeugfronten, die das Verletzungsrisiko von Fußgänger:innen und Fahrradfahrer:innen minimieren, benötigten Entwicklungsteams hingegen Erkenntnisse, die erst aus Crashtests gewonnen werden konnten.

Abenteuerlich: Die Erfindung der Knautschzone

Optimale Laborbedingungen wie zur heutigen Zeit standen den ersten Testenden natürlich nicht zur Verfügung, als sich die methodische Forschung in den 1950er-Jahren etablierte. Gern genutztes Hilfsmittel zur Nachbildung von Auffahrunfällen: die Schwerkraft. Durch Falltests, bei denen die vierrädrigen Versuchskaninchen vom Kran-Seil (oder auch mal von einem Gebäude) auf den Boden stürzten, wurden Kollisionen mit Hindernissen simuliert. Siegfried Brockmann, seit 2006 Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UdV), erklärt: "Die simplen Versuche waren zwar schlecht reproduzierbar und hatten mit realen Unfallszenarien wenig zu tun. Doch erkannte man dabei schnell, dass Verformungen in der Karosseriestruktur (in definierten Bereichen) von großem Nutzen waren, wenn es darum ging, die enormen Kräfte zu absorbieren, die bei einem Unfall entstehen. Und das führte schließlich zu einem neuen Prinzip bei der Karosseriegestaltung, der Einteilung in drei Boxen: weicher Vorbau, feste Fahrgastzelle und weiches Heck – die Knautschzone war erfunden."

Entwicklung von Crashtest-Anlagen

Aus anfänglich recht abenteuerlichen, ja zum Teil haarsträubenden Experimenten entwickelten sich über die Jahrzehnte hochpräzise und unersetzliche Verfahren, die nach dem Prinzip "beobachten, begreifen und besser machen" unsere Autos immer sicherer werden lassen. Dass sich die Spirale der Erkenntnis immer höher dreht, dafür sorgt zum Beispiel die Firma Messring in Gilching. Das mittelständische Unternehmen, knapp 30 Kilometer westlich von München gelegen, ist als weltweit führender Hersteller von Crashtest-Anlagen ein wahrer Hidden Champion. 1968 schlossen sich mehrere Messtechnik-Büros zur Firma Messring zusammen, um die erste Crashtest-Anlage für BMW zu errichten. Für die Bayern galt es damals, zum schwäbischen Konkurrenten aufzuschließen. Mercedes leistete da bereits seit einem Jahrzehnt Pionierarbeit in Sachen Crashtests. Heute gehören nicht nur Mega-Konzerne wie Stellantis zu den Kunden von Messring. Auch viele chinesische Autohersteller, die beim Thema Sicherheit jüngst mächtig aufgeholt haben, setzen inzwischen auf das Know-how der Bayern.
Von Stefan Novitski & Christina Finke

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